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Angela Merkel: Zurück auf Grün

Wenn jemand länger als eine Dekade regiert, liegt der Gedanke nahe, dass
seine herausragende politische Fähigkeit das Durchhalten sei. Doch nichts wäre falscher als
diese Annahme, wenn es um Angela Merkel geht. Sie hält nicht eisern an Themen fest, sie ist
eine Situationskanzlerin, zu Hochform läuft sie in der Krise auf. Den Höhepunkt ihrer
Beliebtheit erlebte sie in den Jahren nach der Finanzkrise. Je Krise, desto beliebter, lautete
die Merkel-Formel. In den Folgejahren schien die Kanzlerin über den Unannehmlichkeiten des
politischen Tagesgeschäfts zu präsidieren. Mit der Migrationsbewegung von 2015 an änderte sich
das. Merkel wurde nun selbst als Verursacherin der Krise wahrgenommen statt als deren
Beherrscherin. Doch seit ihrem Rückzug von der Spitze ihrer Partei und damit auch aus dem
Zentrum der deutschen Politik nähert sich Merkel wieder ihren alten Beliebtheitswerten. Nun
versucht sie wieder an ihre alte Rolle anzuknüpfen: Merkel als Managerin der Klimakrise, am
Ende sogar global.

Es müsse Schluss sein “mit Pillepalle”, hatte Merkel am vorvergangenen Dienstag gesagt, als sich im Reichstag die Fraktion von CDU und CSU traf, um darüber zu sprechen, wie es weitergehen soll mit der Noch-Volkspartei CDU nach dem Debakel bei der Europawahl. Merkels Satz bezog sich auf die Klima- und Umweltpolitik. Mit wem schimpft sie da eigentlich?, fragte sich manch einer der Zuhörer. Denn regiert hat Merkel in der Pillepalle-Zeit schließlich selbst.

Gemeint war: Mit Klein-Klein könne man angesichts der Herausforderung nicht mehr kommen. In der Unionsfraktion, in der Parteizentrale, im Kanzleramt wird derzeit an einer Strategie gearbeitet, die über einzelne Maßnahmen hinausreicht und die CDU wieder auf die Höhe des Themas bringen soll, das derzeit die politische Debatte dominiert.

“Es geht nicht darum, dass wir nur Klima- oder Umweltpolitik machen, sondern es geht um eine Gesellschaftspolitik, die ganz selbstverständlich die Auswirkungen unseres Verhaltens auf das Klima als Priorität einbindet”, so beschreibt Klaus Töpfer den Anspruch. Töpfer war Umweltminister unter Helmut Kohl, er hat acht Jahre für die Vereinten Nationen in Nairobi gearbeitet und wird parteiübergreifend als Umweltexperte respektiert. Nun berät er unter anderem die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer.

In seiner Partei gehört er mit seinen 80 Jahren wieder zu den Hoffnungsträgern. Doch hier liegt auch das Problem: Töpfers Zeit als Aktiver ist lange vorbei. Je häufiger er sich äußert, umso mehr stellt sich der – nicht ganz falsche Eindruck – ein, seit Töpfer sei in der CDU in der Umweltpolitik nicht mehr viel Visionäres geschehen.

Stimmt schon: Auch Merkel war mal Umweltministerin und sogar “Klimakanzlerin”, aber das scheint sie irgendwann selbst vergessen zu haben.

Jetzt arbeitet Merkel an ihrer zweiten Wende. Was 2011 der Unfall im japanischen Atomkraftwerk Fukushima war, ist 2019 die Europawahl: Katalysator einer Debatte, die sich gedreht hat. Und Merkel dreht sich und ihre Partei mit, mal wieder. In der Fraktion hielt die Kanzlerin eine Rede, die von Teilnehmern als ambitioniert beschrieben wird. Die Notwendigkeit einer Kehrtwende beim Klimaschutz begründete sie nicht nur taktisch, sondern auch physikalisch. Wenn die Erderwärmung nicht schnell begrenzt werde, drohe sie außer Kontrolle zu geraten.

Als Merkel 2012 ihren damaligen Umweltminister Norbert Röttgen scheinbar zusammenhanglos nach einer verlorenen Landtagswahl feuerte, geschah dies auch mit Rücksicht auf die Wirtschaft, die in Röttgen als Verfechter der Energiewende ein Ärgernis sah. Doch in den Konzernzentralen wird heute anders diskutiert. Verblüfft stellen Vertreter des konservativ-traditionell eingestellten Wirtschaftsrats der CDU fest, dass Anleger auf einmal nicht mehr nur nach den höchsten Renditen fragen, sondern auch nach den nachhaltigsten, nach
sustainable finance.
Joachim Wenning, der Chef des weltweit größten Rückversicherungskonzerns Münchner Rück, fordert, der Preis für die Tonne CO₂ müsse sich verfünffachen. Und der Schraubenmilliardär Reinhold Würth sagt offen, er habe bei der Europawahl für die Grünen gestimmt. “Die Wirtschaft ist weiter als die CDU”, räumt man in der CDU-Spitze ein. Die Einsicht kommt spät. Zu spät?

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