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Nachhaltigkeit: Hier könnte Ihr Windrad stehen

Vor einiger Zeit durfte ich einigen Biologen in der Lausitz zusehen, wie
sie einen kleinen Haufen Wolfskot entdeckten und ihn begeistert herumreichten wie eine
Trophäe. Ich habe aber auch Schäfer getroffen, die nicht mehr schlafen können, weil sie Angst
haben, morgens auf der Weide die Spuren des nächsten Gemetzels der Wölfe zu entdecken. Während
meiner Recherche habe ich mit Lokalpolitikern gesprochen, die sagen, dass sie seit vielen
Jahren dafür kämpften, die Wolfsbestände in ihrer Region regulieren zu dürfen, also im Zweifel
auch Tiere zu erschießen – aber kaum jemand erhöre sie, vor allem nicht in Berlin. Stattdessen
verurteile man sie moralisch, als wären sie gefährliche Wilderer.

Irgendwann ist mir etwas aufgefallen: Die Wölfe sind dort besonders beliebt, wo niemand sie
zu Gesicht bekommt. Nämlich in der Stadt. Und sie werden dort besonders kritisch gesehen, wo
man mit den Folgen ihrer zunehmenden Ausbreitung leben muss: auf dem Land. Je weiter man weg
ist von einem Problem, desto kleiner sieht es aus.

In Stuttgart oder Hamburg werden Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit hören, dass Wölfe eine
schützenswerte Spezies seien, eine Bereicherung für die Natur. Viele Dorfbewohner macht das
sauer. Sie fühlen sich von den Stadtbewohnern genötigt, die Existenz von Tieren zu erdulden,
die ihnen, wie sie finden, gefährlich nahe kommen. In der Lausitz sagte mir jemand: Solange
der Wolf nicht in Prenzlauer Berg an einer Bar sitzt, ist er wohl Deutschlands beliebtestes
Tier.

Ich bin Reporter in Ostdeutschland, einer Region, in der es sehr viel Land und nur einige
größere Städte gibt. Ich treffe, wenig überraschend, nicht viele Wolfsfreunde in meinem
Alltag. Aber ich treffe viele, die sich bevormundet fühlen. Und ich beobachte im anbrechenden
Zeitalter der Ökologie eine ungute Entwicklung: die moralische Verächtlichmachung der
Dorfbewohner durch die Stadtmenschen. Letztere wollen neue Regeln aufstellen, die unser Leben
ökologischer, reiner, gesünder und besser machen sollen.

Die negativen Begleiterscheinungen dieser Vorhaben betreffen dann allerdings fast nie die
Stadtbewohner selbst, sondern fast immer nur die Leute auf dem Land. So entsteht eine
Schräglage, die gefährlich ist für unsere Demokratie: hier die angeblich besonders Moralischen
– dort diejenigen, die noch auf den Weg der Tugend gebracht werden müssen. Das macht beide
Seiten wütend auf die jeweils andere. Und es vertieft den Riss, der sowieso schon durch unsere
Republik geht.

Ein paar Beispiele für die vielen Wünsche der Stadtbewohner an die Provinz? Gerne. In der
Stadt will man mehrheitlich den Braunkohleabbau und die Atomkraft abschaffen, stattdessen
hätte man gern Windkrafträder und Solarfelder. Und wo werden die großen Kraftwerke abgerissen,
wo werden die Windräder gebaut?

Es muss wohl kaum ein Cafébesucher in Schwabing fürchten, seinen Job zu verlieren, weil ein
Braunkohle-Tagebau schließt. Er muss auch nicht damit rechnen, einen 140 Meter hohen
Windradturm vor sein Café gesetzt zu bekommen (der wäre 40 Meter höher als die Münchner
Frauenkirche). Dem Dorfbewohner, dem das Windrad vor die Nase gebaut wird, aber erklärt er:
Sorry, das dient einem höheren Zweck.

Ich bin nicht gegen Windräder, ich bin auch kein Fan der Braunkohle. Trotzdem verstehe ich,
dass viele Leute auf dem Dorf das Gefühl haben, ihre Interessen zählten nicht. Ich besuche
immer wieder Bürgerveranstaltungen, zum Beispiel jene, die die ostdeutschen
Ministerpräsidenten zurzeit überall in ihren Bundesländern abhalten. Man kann dort stets
dieselbe Klage hören: Ihr nehmt unsere Sorgen nicht ernst! Sinngemäß schimpfte neulich jemand
in Sachsen: Den Kohleausstieg bekommt ihr Politiker in ein paar Monaten verhandelt, die
Verbreiterung der Autobahn zwischen Görlitz und Dresden versprecht ihr uns dagegen schon seit
zehn Jahren, und es passiert – nichts.

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