/Straßenverkehrsordnung: Fahrradreform mit Bremse

Straßenverkehrsordnung: Fahrradreform mit Bremse

Sein Helm sitzt schief und sein Kinnriemen hat mehrere Fingerbreit Spiel – Verkehrsminister Andreas Scheuer inszeniert sich seit diesem Frühjahr gern als Fahrradminister. Wenn es aber um die Feinheiten des Alltagsradelns geht, attestieren Radfahrlobbyisten dem CSU-Politiker Nachholbedarf. Das gilt für das richtige Einstellen seines Fahrradhelms ebenso wie für das Dutzend Änderungen an der Straßenverkehrsordnung, das er vor wenigen Tagen in einem Video vorgestellt hat.

Scheuer will den Radverkehr steigern und sicherer machen. Die zwölf Punkte umfassen unter anderem den schon lange geforderten grünen Pfeil für rechtsabbiegende Radfahrer. Scheuer will zudem Autos das Halten auf Radfahrstreifen verbieten (bisher ist auf Schutzstreifen nur das Parken verboten) und Lastwagen beim Rechtsabbiegen Schritttempo vorschreiben, um Unfälle mit Radlern zu vermeiden.

Die Richtung stimmt – aber nach Ansicht des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) fehlt Scheuers Konzept Entscheidendes, damit seine Maßnahmen tatsächlich die beabsichtigte Wirkung erreichen können. “Die Vorschläge des Ministers für eine fahrradfreundliche Straßenverkehrsordnung sind ein guter Anfang”, sagt Burkhard Stork, Bundesgeschäftsführer des Radfahrer-Lobbyverbandes. Revolutionär sind sie aus seiner Sicht jedoch nicht. Dafür müsse der Platz auf der Straße tatsächlich neu aufgeteilt werden, was bedeute: Dem Autoverkehr Privilegien und auch Platz nehmen. Bevor das aber überhaupt möglich würde, müsste zunächst das Straßenverkehrsgesetz (StVG) geändert werden.

Das StVG mit seinen Zielen und Vorgaben wurde im vergangenen Jahrhundert entwickelt. In den Fünfzigerjahren sollte das Gesetz den damals noch spärlich entwickelten Autoverkehr fördern, heute behindert es die Verkehrswende – die Umstellung der Mobilität auf vernetzte Systeme und umweltfreundliche Energieträger. “Oberstes Ziel ist es seitdem, dass der Verkehr fließt”, sagt Ludger Koopmann, stellvertretender ADFC-Bundesvorsitzender. Damit sei jedoch immer nur der Verkehr der Kraftfahrzeuge gemeint.

Kommunen, die Flächen für Autos reduzieren wollen, müssen immer nachweisen, dass eine besondere Gefahrensituation besteht. Das macht es rechtlich knifflig, Fahrspuren in Radspuren umzuwandeln. Für den ehemaligen Sozialarbeiter Koopmann grenzt diese Vorschrift schon fast an einen Blutzoll: “Wenn dort drei Menschen totgefahren wurden, ist es ein Unfallschwerpunkt, dann kann der Umbau losgehen”, sagt er empört. Lärmschutz, Klimaschutz oder gar eine nachhaltige Verkehrsplanung reichten als Gründe nicht aus. 

Zu niedriges Bußgeld

Der Radfahrverband hat das Gesetz juristisch prüfen lassen. “Das StVG ist rein juristisch ein klassisches Gefahrenabwehrgesetz”, sagt Roman Ringwald, Rechtsanwalt in Berlin und Experte im Straßen- und Straßenverkehrsrecht. Seine Kanzlei hat im Auftrag des ADFC ein Gutachten erstellt, die wesentlichen Ergebnisse: Das StVG bevorzuge den fließenden Autoverkehr. Verbunden mit der der Straßenverkehrsordnung behindere es den unkomplizierten Ausbau klimafreundlicher Mobilität.

Der Verband will das nicht länger hinnehmen. “Wir fordern eine explizite Gleichstellung aller Verkehre – also von ÖPNV, Fußverkehr und Radverkehr”, sagt ADFC-Bundesvize Koopmann. Beim Nationalen Radverkehrskongress im Mai in Dresden haben die Radexperten dem Minister dafür einen eigenen Gesetzentwurf überreicht. Dieser geht deutlich weiter als Minister Scheuers Vorschläge zur Änderung der Straßenverkehrsordnung.

Ein Beispiel dafür ist das angekündigte Halteverbot auf Schutzstreifen. Den Radlobbyisten reicht das nicht aus: Die geplanten höheren Bußgelder müssen laut ADFC auch für Radfahrstreifen und baulichen Radwege gelten und nicht nur für die Schutzstreifen, die mit einer gestrichelten Linie vom Autoverkehr getrennt sind. Statt der bisherigen 20 Euro sollte das Halten dort zukünftig 100 Euro kosten, wenn es nach den Radlobbyisten geht. Die Krux daran ist: Ein hohes Bußgeld allein bewirkt wenig. Damit es wirksam wird, müssen die Kommunen regelmäßig kontrollieren. Vielerorts aber fehlt dafür Personal. Dennoch glaubt Radfahrlobbyist Koopmann an die abschreckende Wirkung einer hohen Strafe. “Wenn jemand nur mal eben fürs Brötchen holen auf dem Schutzstreifen hält und 100 Euro zahlen muss, dann tut das weh”, sagt er.   

Radfahren für den Klimaschutz

Die Erhöhung von Bußgeldern klingt für viele nach Abzocke. Aber im europäischen Vergleich sind die Strafen auf deutschen Straßen niedrig. Falschparken auf Radwegen oder Behindertenparkplätzen kostet hierzulande zwischen 20 und 35 Euro. In den Niederlanden sind es zwischen 95 und 360 Euro. “Falschparken ist kein Kavaliersdelikt”, sagt Koopmann. Ein Autofahrer, der falsch parkt und deshalb anderen die Sicht versperrt oder Radfahrer zum Ausweichen auf die Fahrbahn zwingt, gefährde die übrigen Verkehrsteilnehmer. Das hohe Bußgeld ist für ihn ein wirksames Mittel, um geltende Regeln umzusetzen.

Verbesserungen für Radfahrer können Städten und Kommunen auch helfen, ihre Klimaziele zu erreichen und lebendige Zentren für alle zu schaffen, argumentiert der Verband. Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit innerorts ist für Koopmann und seine Mitstreiter ein wichtiger und günstiger Schritt, um die Sicherheit und die Lebensqualität auf den Straßen zügig zu steigern. Aber ein Tempolimit kommt in Scheuers Verbesserungsvorschlägen erst gar nicht vor.

Um den Radverkehr zu steigern und die Verkehrswende zu ermöglichen, müsste Scheuer wirklich Neues ausprobieren und auch mal Ungewöhnliches wagen, meint Koopmann. Wie das geht, zeigt Paris – eines seiner Lieblingsbeispiele. Dort hat die Bürgermeisterin, Anne Hidalgo, im Sommer 2016 das rechte Seine-Ufer im Zentrum vom Louvre bis zum Rathaus für Autos und Motorroller gesperrt. Auf der anderen Seite des Flusses standen bereits seit Jahren Bänke und Liegestühle.

“Weg von der Bedarfsplanung”

Radikale Veränderungen funktionieren also sogar in Metropolen, ohne dass der Verkehr kollabiert. Für Koopmann geht von Paris ein wichtiges Signal aus: “Auch wir müssen lernen, mehr auszuprobieren”, sagt er. Deshalb ist für ihn die Innovationsklausel, die Scheuer für Modellversuche einführen will, entscheidend. Sie ermöglicht den Kommunen auch kurzfristig, Verkehrsprojekte umzusetzen.

Bislang können Kommunen etwa Fahrradstraßen nur einrichten, wenn dort überwiegend Fahrräder unterwegs sind. Das sei absurd, sagt Koopmann. “Wir müssen weg von der Bedarfsplanung.” Die internationale Erfahrung aus Autostädten wie New York oder London bewiesen, dass es umgekehrt läuft: Wer Radwege baut, steigert die Zahl der Radfahrer. Für ihn ist das die neue Richtung des veralteten Straßenverkehrsgesetzes StVG. Wenn Scheuer den Radverkehr tatsächlich steigern wolle, müsse ausprobieren nicht nur erlaubt, sondern gefördert werden. “Wir müssen hin zu einer Angebotsplanung”, sagt Koopmann. Dafür bräuchten die Kommunen mehr Kompetenzen, um ihren Handlungsspielraum zu erweitern. Die kann ihnen aber nur die Bundesebene geben. 

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