/Sexismus im Fußball: Wir nerven nicht, wir wollen nur spielen

Sexismus im Fußball: Wir nerven nicht, wir wollen nur spielen

Eine Hand berührt mich an der Schulter, ich zucke
zusammen. Mein Trikot verrutscht und ich drehe mich hektisch um. “Mädchen,
wenn du mehr in die Ecken schießt, dann triffst du auch mal. Da hat der Keeper
keine Chance.” Grauer Schnauzbart, breites Lächeln, ausholende Armbewegungen
nach links und rechts. Ich schaue den Schiedsrichter irritiert an. Gerade war
der Halbzeitpfiff ertönt. Zeit für Belehrungen an die Stürmerin.

Sexismus im Fußball: Linda Gerner ist 1993 in Detmold in Nordrhein-Westfalen geboren. Für Fußball würde sie noch heute jedes andere Hobby aufgegeben. In Berlin studiert sie im Master Kulturjournalismus an der Universität der Künste und arbeitet als freie Journalistin.

Linda Gerner ist 1993 in Detmold in Nordrhein-Westfalen geboren. Für Fußball würde sie noch heute jedes andere Hobby aufgegeben. In Berlin studiert sie im Master Kulturjournalismus an der Universität der Künste und arbeitet als freie Journalistin.
© privat

Nach achtzehn Jahren als Fußballerin bin ich mit
solchen Situationen vertraut. Wenn ich mit meiner Frauschaft – das Wort
Frauschaft steht im Duden, es benutzt nur kaum jemand – zusammen auf dem Platz
stehe, spielt Sexismus immer eine Rolle. Mal sind es Grenzüberschreitungen wie
diese Berührung vom Schiri, an anderen Tagen sind es Bodyshaming und homophobe
Sprüche wie “Mannsweiber” und “Alles Lesben” oder sexualisierte Kommentare:
“Macht ihr auch Trikottausch nach dem Spiel?”, “Ihr spielt ja immer mit drei
Bällen.” Über Mansplaining von Schiris (“Meine Damen, auch wenn wir hier beim
Frauenfußball sind, ein paar Regeln gibt es schon”) und den stetigen Sexismus könnte
vermutlich jedes weibliche Sportteam im Amateur- und Profibereich Bücher füllen
und stundenlang Bullshit-Bingo spielen.

In anderen Ländern kämpfen Frauen dafür, überhaupt
Fußball spielen zu dürfen, etwa im Iran. In Afghanistan haben Spielerinnen des
Nationalteams Ende letzten Jahres sexuelle Übergriffe vom Präsidenten des
Afghanischen Fußballverbandes öffentlich gemacht – im Wissen, dass sie sich
damit in Lebensgefahr bringen. In Deutschland können sich Mädchen im
Fußballverein anmelden, es gibt Talentförderungen und inzwischen mehr
Akzeptanz. Die Vorstellung, dass es doch eher ein Sport für
Jungen sei, hält sich trotzdem beharrlich. Nenne ich mein Hobby, wird es immer
kommentiert. Manchmal positiv überrascht, oft süffisant. Noch immer gibt es bei
großen Fußballclubs wie Borussia Dortmund, Real Madrid oder Inter Mailand keine
Frauenabteilung.

Wo sind die Stickertütchen?

Im Profifußballbetrieb
kommt zum Sexismus auch noch Ignoranz dazu. Wo sind die aufwändig
geplanten Public-Viewings mit liebevoll gekleisterter Werbung in der ganzen
Stadt, wo die Stickertütchen im Supermarkt und wo die große Euphorie bei jedem Spiel des
deutschen Teams? Im Alltag erinnert mich gerade wenig daran, dass das deutsche
Frauennationalteam bald den dritten Titel auf der Weltbühne des Fußballs holen
könnte.

In den Medien findet jetzt, wo die Weltmeisterschaft
in Frankreich
bereits läuft, eine zaghafte Berichterstattung statt. Auf vielen
Plattformen startete die aber auch erst am Tag des Eröffnungsspiels. Immerhin:
Es ist deutlich mehr als bei der WM 2015. Versucht man aber mithilfe des Netzes Kneipen zu finden,
die eine WM-Übertragung anbieten, kämpft man mit der Suchanfrage “Fußball-WM” trotz
des bereits laufenden Turniers gegen Algorithmen, die primär Einträge zur
vergangenen Fußball-WM der Männer ausspucken. Auch meine nicht repräsentative
Umfrage im Bekanntenkreis zeigt: Viele wissen gar nicht, dass gerade eine
Weltmeisterschaft stattfindet, geschweige denn in welchem Land.

Andere hatten immerhin etwas von dem Werbespot des Sponsors des Nationalteams mitbekommen. Er wurde als einer, der den Finger selbstironisch in die Wunde lege, von Redaktionen hofiert und mit
freundlichen Clickbait-Überschriften à la “Wir brauchen keine Eier” verbreitet,
während der Sport der Fußballerinnen den Redaktionen oft nicht
ausreicht, um über ihn zu berichten. In dem Werbeclip gibt es die klare
Ansage: Den meisten Menschen – auch vielen
Sportredaktionen – ist das erfolgreiche Abschneiden der Frauen bei der Fußballweltmeisterschaft
komplett egal. Auch ihre Namen interessieren sie nicht. Gerade analysieren
einige Redaktionen messerscharf, ohne dabei größere Selbstkritik zu
üben, dass bei Sportlerinnen der Sport oft nicht ausreicht, damit über sie
berichtet wird. Auch eine ordentliche Vorberichterstattung, für die noch Zeit
gewesen wäre, gab es nicht.

Für das Nationalteam der Frauen ist es einfacher, einen
ironischen und “ultra lässigen” Werbespot zu drehen, als von der Fifa mehr Geld zu fordern. Auch im Freizeitbereich merkt man immer wieder, dass
es Frauenteams schwerfällt, konsequent bessere Bedingungen einzufordern. Wir
sind dankbar, überhaupt eine Spielzeit zu bekommen, selbst wenn sie
Sonntagmorgen um acht Uhr ist. Oder eine Trainingszeit, zu der sonst nur
Kinderteams spielen. Danke, liebe Funktionäre, wir nerven nicht weiter, wir wollen
nur spielen.

Dass der Werbespot des Nationalteams der Frauen nicht
vom DFB selbst, sondern vom Sponsor produziert wurde, verwundert nicht. Die
Öffentlichkeitsarbeit des DFB für die Frauennationalmannschaft wirkt passiv. Mich beschleicht das Gefühl, der
DFB habe gar kein Interesse daran, dass die Frauen und ihre Weltmeisterschaft viel
Aufmerksamkeit bekommen. Es könnte auch hinterfragt werden, warum es in der
Förderung des Fußballs für Frauen in den
vergangenen Jahren so wenig Entwicklung gegeben hat.

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