/Iwan Golunow: Risse in Putins Machtapparat

Iwan Golunow: Risse in Putins Machtapparat

Irgendetwas läuft dieser Tage in
Russland anders als sonst. Ein Journalist, der sich auf Recherchen über Korruption in der russischen
Hauptstadt spezialisiert hat, wird unter fadenscheinigen Vorwürfen von der Polizei
festgenommen. Soweit so gewöhnlich. Doch dann beginnt etwas,
was es in dieser Form in der Ära von Präsident Wladimir Putin noch nie gegeben hat. Eine Lawine der Solidarität hat das Land erfasst.

Hunderte Journalistinnen und
Oppositionelle gehen auf die Straße. Redaktionen von Hochglanzmagazinen,
Sportzeitungen und Lokalblättern unterzeichnen gemeinsame Aufrufe. Am Montag erscheinen die drei wichtigsten
konkurrierenden Wirtschaftsblätter des Landes mit der gleichen Titelseite, auf
der der Name des betroffenen Kollegen prangt. Professoren, Schauspieler und gar
eine Pizzakette bekunden Solidarität. Und selbst die notorischen Propagandistinnen des Kreml nutzen ihre
Sendezeit plötzlich, um den Kollegen zu unterstützen. Dazu gehören die Moderatorin Olga Skabejewa, die einst Hajo Seppelt wegen seiner Recherchen zum Staatsdoping der
Russlandfeindlichkeit
bezichtigte, und Margarita Simonjan, die Chefin des
berüchtigten Auslandssenders Russia Today.

Tatsächlich markiert der
Fall des Journalisten Iwan Golunow vom russischen Exilmedium Meduza einen historischen Moment. Selten zuvor haben die Sicherheitsbehörden einen kritischen Reporter so dreist mit offenbar
untergeschobenen Drogen
versucht zum Schweigen zu bringen. Und selten war die
Gegenwehr der Gesellschaft so groß. Dass der Investigativjournalist
ein Drogenhändler sein soll, wie es die Polizei der Öffentlichkeit weismachen will, glaubt in Russland
derzeit kaum jemand.

Recherchen über Korruption im Bestattermilieu

Zu unglaubwürdig waren
die bisherigen Beweise der Polizei, die erst fünf Päckchen weißes Pulver in
Golunows Rucksack gefunden haben wollte, dann nur noch zwei, während die
anderen angeblich bei der Hausdurchsuchung dazugekommen seien. Dann
veröffentlichten die Behörden angebliche Fotos aus Golunows Wohnung und mussten sie später zurückziehen. Am Ende wurde Golunow vom Gericht vorerst unter
Hausarrest gestellt. Für die russische Justiz eine ungewöhnlich milde Sanktion
angesichts der Vorwürfe. Dem 36-Jährigen drohen laut Gesetz zwischen zehn und 20 Jahren hinter Gittern. Draußen vor dem Gericht brach Jubel aus, als die
Menschenmenge die Entscheidung hörte. Und drinnen brach Golunow vor Kameras in
Tränen aus.

Für die Zivilgesellschaft
war das ein wichtiger Etappensieg. Der jedoch davon begünstigt wurde, dass die
politische Führung des Landes offenbar nicht in die Aktion involviert war.
Dafür sprechen etwa die uneinheitliche Reaktion der staatlichen Medien und die bröckelige Beweislage. Schon am Sonntag hieß es, es seien keine Drogen in
Golunows Blut gefunden worden. Am Montag kam dann die Meldung, dass die
fraglichen Drogenpäckchen die Spuren der DNA mehrerer Personen aufweisen. Der Journalist
selbst sagte vor Gericht, er vermute hinter der Polizeiaktion dubiose
Geschäftsleute aus dem Moskauer Bestattungsbusiness. In diesem Milieu hatte Golunow zuletzt recherchiert; laut russischen Medienberichten verdienen hochrangige Geheimdienstler illegal
am Geschäft mit den Beerdigungen mit
. Per Pressesprecher ließ Putin mitteilen, er beobachte den Fall Golunow ganz genau.

Wut auf korrupte Beamte

Kein Wunder, denn dieser
Fall offenbart gleich mehrere Probleme für den Kreml. Da wäre etwa das
nun offenkundig gewordene Protestpotenzial in der Gesellschaft. “Golunow war
ein Anlass. Wenn es ihn nicht gegeben hätte, dann wäre die Wut der Menschen
wegen etwas anderem explodiert”, sagte der Moskauer Politikberater Abbas Gallyamow ZEIT ONLINE. Die Sicherheitsbehörden seien zum
Symbol für das Regime geworden und riefen bei der Zivilgesellschaft den größten Ärger hervor.

Gleichzeitig scheint dem
Kreml bewusst zu sein, dass
die Anklage gegen Golunow fingiert
ist. “Die Machthaber haben nicht erwartet, dass der Protest so stark wird. Um
Druck auf die Unzufriedenen auszuüben, müssen die Verantwortlichen davon
überzeugt sein, Recht zu haben. Statt dieser Überzeugung herrscht im Kreml Wut
auf korrupte Beamte im Sicherheitsapparat, die wegen ihrer Partikularinteressen
das ganze Regime vor Probleme stellen”, sagt Gallyamow.

Hits: 9