/“Tatort” Köln: Die Handys sind zu Hause gewesen

“Tatort” Köln: Die Handys sind zu Hause gewesen

Kann die Kunst den Menschen bessern? Nein, müsste sagen, wer
sich manchen Kommentar anschaut, der mit stupider Regelmäßigkeit in unsere
beschauliche Runde ab Sonntagabend hineingepostet wird – wo immer wieder Leute glauben,
mitteilen zu müssen, dass sie belehrt oder erzogen werden, dass ein Film
“ideologisch” gewesen sei oder wie immer die Wörter der Abwertung
heißen.


Matthias Dell schreibt seit 2010 wöchentlich über “Tatort” und “Polizeiruf 110”. Auf ZEIT ONLINE seit 2016 in der Kolumne “Der Obduktionsbericht”.
© Daniel Seiffert

Wobei das Traurige an dieser Form von Kunstrezeption nicht ist,
dass sie dem Schillerianismus (Was kann eine gute stehende Schaubühne
eigentlich wirken?
)
eine Abfuhr erteilt. Sondern dass diese Art von Ideologischseingejammer sich überhaupt nicht für Ideologiekritik
interessiert, weil es nur darum geht, alles, was einem selbst nicht passt, mit
scheinobjektiven Labeln als doof zu etikettieren.

Dabei kann Kunst natürlich schon etwas. Aus Freiburg kommt
etwa die Meldung, dass Maria H., ein Mädchen, das mit einem älteren Mann fünf
Jahre durch Europa zog, ihre Abhängigkeit just in dem Moment verstehen
konnte
,
als sie Julia von Heinz’ tollen Schwarzwald-Tatort in diesem Frühjahr sah, der in gewisser Weise ihre
Geschichte erzählte.

Warum diese lange Vorgeschichte, werden Sie ungeduldig
fragen, wo doch die Kölner Tatort-Folge
Kaputt
(WDR-Redaktion: Götz Bolten, Degeto-Redaktion: Birgit Titze) Gegenstand des
Interesses sein soll? Weil es darin um Polizeigewalt geht, ein Thema, das wegen
Korpsgeist und fehlender externer Kontroll- und Beschwerdeinstanzen
journalistisch schwer zu fassen ist. Und in das hinein also der Lichtkegel
eines gut ausgedachten Spielfilms leuchten könnte, um mediale Aufmerksamkeit zu
besorgen. 

Aber da geht es schon los. Leider ist Kaputt nämlich schlecht ausgedacht (Drehbuch: Rainer Butt,
Christine Hartmann, Regie: Hartmann). Eine Polizistin namens Melanie Sommer
(Anna Brüggemann) erwacht nach einem Schlag auf den Kopf, den sie bei einem
Einsatz wegen Ruhestörung bekommen hatte – bei dem ihr Kollege Schneider gar zu
Tode geprügelt worden ist. Wenig später stirbt mit Ben Theissen (Hauke Diekamp)
einer der drei Tatverdächtigen. Der hatte Probleme mit der Polizei, seit ein
Streifenwagen mit Blaulicht das elterliche Fahrzeug verunfallt hatte: Papa tot,
Mutti im Rollstuhl.

Und da geht es weiter, weil dieses Rachemotiv doch mit sehr
viel gutem Willen zum Hass um die Ecke kommt – wäre Benni-Boy etwa Sohn eines
Vaters, der durch rassistische, danach aber freigesprochene Polizisten ums Leben
gekommen wäre, ließe sich das besser
nachvollziehen. Aber so? Hätte das andere Unfallfahrzeug eine Bäckerin
gesteuert, würde Benni dann Brötchenfabrikanten quälen?

Ein weiterer verdächtiger junger Mann stirbt, und am Ende
steht die Polizistin Melle Sommer am hellichten Tag im Neubaugebiet und richtet
ihre Pistole auf die vor ihr kniende Dritte im Bunde, Janine Meier (Caroline Hanke). Da haben Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Fab Five Freddy (Dietmar Bär)
den Fall allerdings gelöst und schießen die Kollegin an. Dass Ballauf danach
umgehend heftiges Mitleid bekommt mit dem Opfer seines eigenen Schusses (warum
dann nicht ins Bein?), ist nur damit zu erklären, dass die kunsthistorische
Ambition von Kaputt so weit reicht, unbedingt
eine moderne Variante der Pietà nachstellen zu müssen.

Und eigentlich hört es auch nie auf: das Leiden an dieser
Folge. Die Schauspielleistungen wirken wie bei der ersten Leseprobe, obwohl
mit Brüggemann oder Götz Schubert (als Revierchef) doch Personal bereitsteht,
das schon präziser in Erscheinung getreten ist.

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