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Rauchverbot: Freiheit auf Lunge

Sylvia Thimm hat ihre Kiste hervorgekramt, die “Raucherkneipen-Kiste”, so
nennt sie die. Ein Pappkarton voller Papier: Zeitungsausschnitte, Briefe, Post von Anwälten.
Thimm hat vor Jahren einmal Rechtsgeschichte geschrieben. Sie hat das Leben der Republik
verändert, jedenfalls ein bisschen, und die Dokumente von damals bewahrt sie in der Kiste auf.
Die steht jetzt auf dem Tresen, gleich neben den Zapfhähnen.

“Angefangen”, sagt Sylvia Thimm, “hat alles an dem runden Tisch da vorne. Setzen wir uns auch dahin?” Es gibt einen Milchkaffee, ein Wasser dazu und einen Schokokeks. Noch kein Bier, das Doors macht erst um sieben auf.

Die Kneipe ist ein Überbleibsel aus einer anderen Zeit – bevor der Prenzlauer Berg von Touristen, Biosupermärkten und Coffeeshops überflutet wurde. Es ist ein bisschen schummrig im Gastraum, auch wenn draußen die Sonne strahlt. AC/DC-Plakate hängen an den Wänden, wer Hunger hat, kann sich beim Imbiss um die Ecke etwas holen und es in der Kneipe essen, “die Nachbarn vom Imbiss sollen ja auch Geld verdienen”, sagt Thimm. Gleich neben der Tür steht der Zigarettenautomat. Und in der Luft der Tabakduft von letzter Nacht.

2002 hat Sylvia Thimm das Doors übernommen, sie war vorher Sekretärin, wollte noch einmal etwas anderes machen. “So um 2007, 2008 habe ich dann zum ersten Mal ein bisschen Gewinn gemacht”, erzählt sie, “nicht viel, aber ich hab gedacht, ach schön, jetzt läuft es. Und dann kam das.” “Das” – das waren die Nichtraucherschutzgesetze, die damals überall in Deutschland erlassen wurden. Sie verboten weitgehend das Rauchen in Schulen, Krankenhäusern, Büros und Restaurants, auch in Kneipen und Bars.

“Wenn das so gekommen wäre”, sagt Sylvia Thimm heute, “hätte ich dichtmachen können.”

Thimms Gäste schauen vorbei, um ein bisschen Musik zu hören, ein, zwei, drei Bier zu trinken. Und um zu rauchen. “Da stehst du dann natürlich und wunderst dich, und eigentlich willste ja nicht aufhören, es macht schon Spaß. Aber du denkst, das kann man sowieso nicht beeinflussen, da ist man hilflos.” Thimm lacht ein tiefes, fröhliches Lachen. “Aber das kam dann ja anders.”

Eine Verfassungsbeschwerde, so steht es im Grundgesetz, kann beim Bundesverfassungsgericht von “jedermann mit der Behauptung erhoben werden […], durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte […] verletzt zu sein”.

Über Freunde kam Sylvia Thimm in Kontakt mit dem Rechtsanwalt Michael Friedrich. Und mit dem Verfassungsrechtler Heinrich Amadeus Wolff, damals Professor in Frankfurt an der Oder, jetzt in Bayreuth. Irgendwann saßen die beiden Juristen im Doors am runden Tisch. Und sie sagten, doch, da lässt sich vielleicht etwas machen.

Die Nichtraucherschutzgesetze der Länder, das war der Gedanke, kannten allerlei Ausnahmen. Größeren Lokalen zum Beispiel wurde gestattet, separate Raucherräume einzurichten. Doch in kleinen Kneipen wie dem Doors, in Kneipen mit nur einem Raum, da ging das nicht. In denen galt das Rauchverbot ohne Ausnahme. Die Kleinen müssen schließen, die Großen dürfen weitermachen. War das fair?

“Wir saßen hier eine halbe Stunde”, erinnert sich Sylvia Thimm, “und dann habe ich gesagt, ja, das machen wir jetzt.”

Knapp 6000 Verfassungsbeschwerden gehen jedes Jahr in Karlsruhe ein. Nur ein Bruchteil, meist nicht einmal zwei Prozent, hat Erfolg. Viele sind unzulässig, manche sind gar keine Verfassungsbeschwerden. Einige Menschen schicken regelmäßig Gedichte nach Karlsruhe. Ein bisschen ist die Verfassungsbeschwerde so etwas wie ein Kummerkasten der Nation. Ein Seismograf der Gesellschaft.

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