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Großbritannien: Sie wollen Theresa Mays Job

In
Großbritannien wird in den kommenden Wochen ein neuer Parteivorsitzender und
damit Premierminister gewählt oder eben eine Frau – von 124.000 Mitgliedern der
Konservativen Partei. Normalerweise ergibt sich aus einer Parlamentswahl, wer die Regierung führt. Dieses Mal jedoch nicht, weil Theresa May zwar an diesem
Freitag als Parteivorsitzende und später als Premierministerin abtritt
, die
Konservativen aber noch an der Macht sind. Die Partei bestimmt also mit der Wahl eines Vorsitzenden oder einer Vorsitzenden, wer die Regierungsgeschäfte weiterführt.

Nachdem
sich die Kandidaten präsentiert haben, werden 313 konservative Abgeordnete in geheimen Abstimmungen eine Vorauswahl treffen. Das erfolgt vom 13. bis 20 Juni. Übrig bleiben zwei
Spitzenkandidaten, zwischen denen dann alle Parteimitglieder entscheiden. Das Ergebnis wird in der Woche ab dem 22. Juli verkündet.

Die
Mitglieder der Konservativen Partei sind überwiegend für den Brexit, im Notfall
auch ohne Vertrag mit der EU. Demografisch gesehen repräsentieren sie nicht wirklich die Bevölkerung: Sie sind zu 71 Prozent männlich, zu 97 Prozent weiß, zu 44 Prozent älter als 65 Jahre (nur fünf Prozent sind zwischen 18 und 24 Jahre alt).

Da es
selten die Chance gibt, ohne Parlamentswahl in das Amt des Premierministers
aufzusteigen, und da May die undankbare Aufgabe erledigt hat, den
Austrittsvertrag mit der EU zu verhandeln, haben sich mehr Kandidaten gemeldet
als je zuvor. Wir haben uns die populärsten sechs der insgesamt elf Bewerber angeschaut.

Boris Johnson

Großbritannien: Sie wollen Theresa Mays Job


© Leon Neal/Getty Images

In
Großbritannien heißt es, der Spitzenkandidat wird selten Premierminister. Allerdings
hat Boris Johnson die besten Aussichten. Je größer der Erfolg von Nigel Farage und seiner
Brexit-Partei
, desto höher steigen die Chancen, dass die Konservativen ihn wählen. Er ist
der Spitzenkandidat, vielleicht auch, weil der 54-jährige Politiker mit
zerzaustem Blondschopf gern den Habitus eines Churchill imitiert.

Johnson
propagiert mit großem Gespür, was politisch opportun ist. So betont er jetzt,
Großbritannien müsse am 31. Oktober aus der EU austreten, “egal, ob mit oder ohne
Deal”. Als 2013 noch eine andere Stimmung herrschte, war er dagegen, die EU zu verlassen.
Johnson hat kein Problem damit, seine Einstellung zu ändern, wenn dies seiner
politischen Karriere nutzen könnte. Obwohl die Stadt London mehrheitlich gegen
den Brexit gestimmt war, stellte sich Johnson 2016 als Bürgermeister “herzensschwer” gegen David Cameron, in der
Hoffnung, dass er bei einem Erfolg des Brexit-Votums Chancen auf den Posten des
Premierministers haben würde.

Mit seiner Propaganda von Halbwahrheiten trug er
zum Erfolg der Leave-Kampagne entscheidend bei. Ähnlich reagierte Johnson im
vergangenen Jahr: Als er spürte, dass sich die Stimmung in der Partei gegen May
und ihren Kompromiss mit der EU drehte, trat er als Außenminister zurück und
holte sich so die Rückendeckung der Hardliner in der Partei, allen voran von
Jacob Rees-Mogg.

“Ich
glaube, er wäre hervorragend”, empfahl ihn dieser Tage US-Präsident Donald Trump.
Wenn es Nachteile für Johnson gibt, sind es seine Großspurigkeit, seine
mangelnde Diplomatie, die Unbedarftheit in politischen Details, sein plumper,
oberflächlicher Patriotismus. Aber die Partei hat Angst, vor Nigel Farage und
vor Jeremy Corbyn, und das spielt Johnson in die Hände: “Letztlich geht es um
die knallharte Entscheidung, ob wir den Brexit liefern können oder ob unsere
Partei untergeht. Ich glaube, ich bin da der richtige Kandidat”, meint er.

Boris Johnson hat im September seine Trennung von seiner zweiten Frau bekannt
gegeben. Er hat fünf Kinder. 

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Dominic Raab

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© Daniel Leal-Olivas/AFP/Getty Images

Der 45-jährige Dominic Raab, der ehemalige Brexit-Minister von Theresa May, sollte
eigentlich wissen, wie wichtig ein solider Austrittsvertrag mit der EU ist. Aber
darum geht es derzeit nicht. Jetzt zählt nur der Zuspruch der Partei und die
erste Hürde, die die Kandidaten nehmen müssen, sind Gespräche mit den
Brexit-Hardlinern der ERG-Gruppe um Jacob Rees-Mogg. Sie pochen auf einen
No-Deal-Brexit, und so tut es Raab auch, mehr noch als Johnson. Er ging sogar soweit, dass er ankündigte, im Zweifel das Parlament aufzulösen, um einen No Deal-Brexit ohne Widerstand der Abgeordneten durchdrücken zu können, was von dem Parlamentsvorsitzenden und den anderen Nachfolgekandidaten als “undemokratisch und völlig ausgeschlossen” sofort abgelehnt wurde. Raab ist der
klare Euroskeptiker im Rennen.

Raab ist
Jurist, hat in Oxford und Cambridge Jura und International Law studiert, kann
sich politisch geschickt ausdrücken, wirkt gerade deshalb aber immer etwas
berechnend. Er warb vor der Volksabstimmung 2016 für den Brexit. Nach dem
Rücktritt von David Davis war er vier Monate lang Brexit-Minister. In dieser
Zeit gab er zu, dass er bis dato nicht begriffen habe, wie wichtig die Route
Dover-Calais für den Handel Großbritanniens mit Kontinentaleuropa sei. Er trat
von seinem Posten zurück, als er spürte, dass sich die Stimmung innerhalb der
Partei gegen den Austrittsvertrag von Theresa May drehte.

Raab ist konservativ,
bezeichnet sich als “kein Feminist”, spricht sich dagegen aus, dass Männer, vor
allem Väter und Jungen, in der Ausbildung mittlerweile vernachlässigt würden. Raab
ist verheiratet. Er und seine berufstätige Frau haben zwei Kinder.

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Rory Stewart

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© Suzanne Plunkett/Reuters

Der
Unbekannte – bis jetzt. Plötzlich ist der unorthodoxe 46-jährige Politiker,
Autor und Akademiker in aller Munde, obwohl er genau das macht, was ihm die
geringsten Chancen auf den Posten des Premierministers einbringen sollte: Der
jetzige Entwicklungshilfeminister ist entwaffnend ehrlich, nennt die Fakten, wie
sie sind, und das mit ziemlicher Kompetenz. Er hat vor der Volksabstimmung für
den Verbleib in der EU gestimmt, plädiert jetzt für auf einen geordneten
Austritt.

Stewart ist vehement gegen einen No Deal. Der sei
aus wirtschaftlichen Gründen keine Option. Er werde nicht in einem Kabinett eines
Premierministers dienen, der einen No Deal vertrete wie Boris Johnson. “Ich
glaube, die Kandidaten hier reden sich und anderen was ein. Die EU wird auf gar
keinen Fall bis zum 31. Oktober einen neuen Deal mit Großbritannien vereinbaren
– es geht zeitlich gar nicht. Allein schon, weil erst einmal eine neue
Kommission aufgestellt und ein neues Verhandlungsteam zusammengestellt werden
muss. Jeder, der was anderes behauptet, hat keine Ahnung von Brüssel, guckt
keine Nachrichten und begreift nicht, dass die Position der EU glasklar
ist.” 

Mit
großer Eloquenz stellt sich Stewart mitten in die Stadt unters Volk und
diskutiert: “Kommt, redet mit mir, fordert mich heraus – das ist wichtig.” Jeden
Tag kündigt er auf Twitter an, wo er den Bürgerinnen und Bürgern Rede und Antwort steht.

Stewart
ist Diplomatensohn, in Hongkong geboren, hat nach seiner Schulzeit auf Eton in
Oxford Moderne Politik und dann Philosophie, Politik und Wirtschaft studiert. Sechs
Jahre hatte er Lehraufträge an der Harvard University. Als Student gab er Prinz William und Prinz Harry Nachhilfeunterricht. Im Außenministerium war er
später mitverantwortlich für den politischen Wiederaufbau im Irak, nach einem Krieg,
den er als Fehler bezeichnete. Seit er im Jahr 2002 in 32 Tagen quer durch
Afghanistan gelaufen ist, gilt er im Westen als einer der führenden Kenner des Landes.

Stewart ist verheiratet und hat einen Sohn.

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Michael Gove

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© Leon Neal/Getty Images

“Auch du,
mein Sohn Brutus?” Dem 51-jährigen britischen Umweltminister haftet der Ruf
des Verräters an, und er wird ihn schwer wieder los: Gove ist scharfsinnig, sehr
eloquent, aber – wie Boris Johnson – zu ehrgeizig. Er ist so erpicht auf seine
politische Karriere, dass er jede Loyalität aufgibt.
Er tat dies als Lordkanzler und Justizminister, als er Premierminister David Cameron 2016 in den Rücken fiel und die Brexit-Kampagne anführte. Gove erklärte damals, das Gerede der Fachleute
sei nichts wert, denn sie hätten schon bei der Einführung des Euros falsch
gelegen und bei der Finanzkrise auch. Es war das gefährlichste Argument in der
Brexit-Kampagne, weil er dadurch jede sachliche Diskussion im Keim erstickte und
Fachleute, Wirtschaftsvertreter und Akademiker kein Gehör mehr bekamen.

Der
zweite Verrat von Gove: Nach der Volksabstimmung und dem Rücktritt von Cameron unterstützte
er die politische Kampagne von Boris Johnson, neuer Premierminister zu werden.
Am Tag jedoch, als Johnson seine Kandidatur erklären wollte, kritisierte ihn
Gove als “für das Amt des Premierministers ungeeignet” und kandidierte selbst.
Er hatte keinen Erfolg. Aber dieses Verhalten ist nicht vergessen.

Mittlerweile
ist Gove wieder Umweltminister, war May gegenüber loyal, aber was hätte er auch
sonst tun sollen. Als ob es unter den Kandidaten nun nur noch darum gehe, ob
Großbritannien die EU am 31. Oktober verlässt oder nicht, sagt Gove:
“Dieses Datum muss flexibel sein. Wenn es etwas länger dauert, weil noch
Verhandlungen anstehen, dann ist das so.” Er ist gegen einen No Deal.

Gove ist
ein Politiker, der dem Zeitgeist und der politischen Stimmung opportunistisch
folgt. Vom Irakkrieg glaubte er, dass dieser der Region endlich Frieden und
Stabilität bringen würde. Gove
spricht klug, aber es bleibt der Verdacht, dass man nie wirklich darauf trauen
kann, was er sagt.

Gove ist mit der Journalistin Sarah Vine verheiratet. Sie
haben zwei Kinder.

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Jeremy Hunt

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© Tolga Akmen/AFP/Getty Images

Er sei
“Theresa May” im Anzug, wird ihm nachgesagt. Aber wenn es um Reden vor dem
Parteitag geht, greift auch er zum Populismus: “Die Sowjetunion war für ihre
Menschen ein Gefängnis. Aber wenn die EU glaubt, sie könne ähnlich reagieren
und es Großbritannien extra erschweren, den Club zu verlassen, werden noch viel mehr Länder austreten
wollen.” Die Briten hätten schließlich für die Freiheit gekämpft. Hunt war
seit 2010 Minister für Kultur, Medien und Sport, dann Gesundheitsminister. Seit
Juli 2018 ist er Außenminister
.

Der 52-jährige unscheinbare Tory-Politiker hat vor dem Volksentscheid im Jahr 2016
für den Verbleib Großbritanniens in der EU geworben, wechselte dann aber die
Seite. Er plädiert heute für einen geordneten Brexit, honoriert aber, dass
Theresa May hierfür die Grundlagen gelegt habe.

Nach
seinem Studium in Oxford und Aufenthalt in Japan als Englischlehrer gründete er
mehrere Start-up-Firmen. Eine überlebte:
ein Verlagsgeschäft, das 2017 für einen hohen Millionenbetrag an ein
australisches Unternehmen verkauft wurde. Hunt nutzt diesen wirtschaftlichen Erfolg,
um politisch zu überzeugen: “Da muss man Führungsqualitäten zeigen,
Verhandlungsgeschick mitbringen und Zuversicht zeigen.”

Wenn man
es richtig anstelle, sei mit der EU “ein Deal” vor Ende Oktober zu erreichen.
Warum diese Argumentation? Wer immer Großbritannien am 31. Oktober ohne Vertrag
aus der EU führen will, riskiert, dass das Parlament dies sabotiert, also eine
Neuwahl ausgerufen werden muss und dann Jeremy Corbyn an die Macht kommen
könnte. Hunt redet der Partei daher ein, dass er bis zum 31. Oktober einen –
offenbar geänderten – Deal abschließen könne, der vom Parlament getragen werde.
Großbritannien könne dann Ende Oktober die EU in geordnetem Verfahren
verlassen, ohne eine Neuwahl riskieren zu müssen. Der Sohn eines britischen
Admirals schürt die Angst vor Jeremy Corbyn als dem “gefährlichsten Politiker,
den wir in unseren Zeiten in der Opposition gehabt haben”.

Hunt hat
mit seiner chinesischen Frau drei Kinder.

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Andrea Leadsom

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© Leon Neal/Getty Images

In diesem Kreis die einzige Frau. Und vielleicht wird Andrea Leadsom deshalb keine Chance haben.
Der Schock in der Partei darüber, dass Theresa May so eine schwache Führungspersönlichkeit und nicht in der Lage war, die Hardliner in ihre Schranken zu weisen und
Kabinett und Parlament überzeugen zu können, sitzt tief.

Leadsom ist ehrgeizig, wollte schon nach der
Volksabstimmung 2016 Premierministerin werden, überließ das Feld letztlich
aber Theresa May. Die 56-jährige Politikerin hat Politikwissenschaft
auf der Warwick University studiert. Sie hat dann im Banking gearbeitet, so
auch bei Barclays Bank, verließ aber ihren Job, als auf sie Druck ausgeübt
wurde, sofort nach ihrer Schwangerschaft wieder voll an ihren
Arbeitsplatz zurückzukehren. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder.

Ihre
Bankerfahrungen nutzten Leadsom, als sie später als Parlamentarierin im
parlamentarischen Finanzausschuss saß und den damaligen Chef von Barclays Bank – Bob Diamond – zum Libor-Skandal
befragte. Ihr Auftreten ist hart, kühl, freundlich, distanziert. In der Frage
des Brexits hat sie sich nicht hervorgetan, folgt der harten Linie, wohl, um
sich die Rückendeckung der Partei zu sichern. Sollten sich die Sympathien der
Partei nicht schlagartig verlagern, ist es unwahrscheinlich, dass sie es unter
die beiden führenden Kandidaten schafft.

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