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Frauenfußball-WM: Na die traut sich was

Am Freitag begann in Frankreich die achte Frauenfußball-WM. Alle unsere Artikel zur WM und zum deutschen Team finden Sie auf unserer Themenseite.

Ein Podest am Trainingsplatz ist nützlich, weil es einer Cheftrainerin eine viel bessere Perspektive ermöglicht. Und erhöhte Aufmerksamkeit ihrer Spielerinnen. Die Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg scherte sich auf dem Sportplatz in Pont-Péan, einem 4.400-Einwohner Örtchen mitten in der Bretagne, nicht darum, dass auch Zuschauer und Journalisten es hörten, als sie sehr laut ihre Kommandos gab: “Vollgas, direkte Linie, tief gehen!”

Wenn der Wind bei dem rauen Provinzklima ihre Kommandos verschluckte, schickte die Chefin noch ruppige Armbewegungen hinterher. Manche Einheit vor dem WM-Auftaktspiel gegen China in Rennes (Samstag, 15 Uhr, ARD und DAZN) dauerte so lange, dass sich die Jüngste, die 17 Jahre und 5 Monate alte Lena Oberdorf, danach entkräftet auf den Rasen legen musste, um einmal tief durchzupusten.

Zwei Titel, dann der Bruch

Voss-Tecklenburg fordert viel für ihre erste Bewährungsprobe in Diensten des DFB: Schon der Start in diese WM, die wie 2015 mit 24 Teilnehmern ausgetragen wird, ist schwieriger als viele denken. “Wir kennen ihre Qualitäten, wir werden spieltaktisch gut vorbereitet sein müssen”, sagt die Trainerin vor dem Spiel gegen die Chinesinnen. Dort steht der Frauenfußball hoch im Kurs, seitdem die “Stahlrosen” im WM-Finale vor 20 Jahren beinahe den damaligen Gastgeber und heutigen Rekordweltmeister USA besiegt hätten. Sie scheiterten erst im Elfmeterschießen. 

Bei den Turnieren danach gewann zweimal Deutschland. Erst köpfte Nia Künzer 2003 gegen Schweden ein Golden Goal, das die heutige ARD-Expertin berühmt machte. Dann hielt Nadine Angerer 2007 gegen die heute noch aktive Marta famos: Titelverteidigung. Deutschland war endgültig zur Frauenfußball-Großmacht aufgestiegen – die Erwartungen vier Jahre später, bei der WM im eigenen Land, waren riesig. ARD und ZDF entwarfen den Slogan: “Dritte Plätze sind was für Männer.” Eine Anspielung auf die Turniere 2006 und 2010. Doch für die Frauen kam 2011 im eigenen Land der Knick. Die wochenlange Vorbereitung war ähnlich schädlich wie die Erwartungshaltung: Die bekannten Spielerinnen, auch die dreimalige Weltfußballerin Birgit Prinz, brachen unter dem öffentlichen Brennglas zusammen.

Almuth Schult, damals die dritte Torhüterin im Kader, erinnerte sich kürzlich noch einmal mit Grausen an das, was sich vor acht Jahren im eigenen Land abspielte: “Diese hohe öffentliche Aufmerksamkeit war völlig neu für uns, das kannten wir so noch nicht und damit konnten wir schwer umgehen.” Sie sei die einzige Spielerin aus dem WM-Kader gewesen, die sich unerkannt und frei bewegen konnte. “Wenn ich durch Düsseldorf mit dem Fahrrad gefahren und durch Berlin spaziert bin, wusste niemand, wer ich bin. Ich habe mit den anderen Spielerinnen mitgefühlt, wenn sie keinen Schritt tun konnten, ohne beobachtet zu werden. Birgit Prinz hat mich beispielsweise damals darum beneidet.”

Der doppelte Kampf

Die Stimmung hat sich gewandelt. Vor Kurzem fiel beim Besuch des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier im Trainingslager einigen fußballbegeisterten Mädchen kein Name einer Spielerin ein, der die Fußballnation Deutschland diesen Sommer vertritt. Es kam so, wie im viel beachteten Filmchen des Hauptsponsors angekündigt. Der Zuschauerschnitt in der Frauen-Bundesliga, 833 kamen pro Spiel, ist der schlechteste seit vielen Jahren, die Einschaltquoten bei Frauen-Länderspielen sind ebenso rückläufig wie die Zuschauerzahlen. Dass zur Generalprobe gegen Chile (2:0) kürzlich in Regensburg wieder mehr als 10.000 Zuschauer kamen, war ein Erfolg: erst das zweite Mal in den vergangenen vier Jahren wieder eine fünfstellige Kulisse für ein Heimländerspiel der Frauen.

“Wir sind ja schon froh, dass während der WM so gut wie keine anderen Großereignisse stattfinden”, sagt Voss-Tecklenburg. Sie sitzt immer noch im Aufsichtsrat von Fortuna Düsseldorf und sagt ihre Meinung dort auch den Männern: “Ich habe diese Nebentätigkeit nicht angenommen, weil ich eine Profilneurose habe, sondern weil ich es für mich als Bereicherung ansehe.” Sie fordert auch mündige Spielerinnen, die ihre Meinung sagen.

So wie Torhüterin Schult. Vor zwei Monaten beschwerte sie sich, abgestimmt mit dem Mannschaftsrat, in einem FAZ-Interview und beklagte fehlende Unterstützung im Verband, in den Vereinen – und in der Gesellschaft: “Oft werden wir Frauen einfach vergessen. Wir müssen in Deutschland vielleicht auch noch mehr Blockaden im Kopf überwinden”, sagte die Wolfsburgerin. Prompt legten Kolleginnen nach, Melanie Leupolz etwa: Die 25-jährige Mittelfeldspielerin vom FC Bayern sagte ganz offen, dass speziell ihr Verein viel zu wenig tue, um den Entwicklungen im Ausland Rechnung zu tragen. “Die Frauen-Bundesliga muss aufpassen, dass nicht noch mehr deutsche Nationalspielerinnen abwandern, sonst verliert sie an Attraktivität. Das Ausland ist sehr verlockend. Es kommt mir so vor, dass es dort mehr Anerkennung innerhalb des Vereins gibt”, vermutet sie. 

Die deutschen Fußballerinnen führen in Frankreich vielleicht einen doppelten Kampf: gegen eine internationale Konkurrenz, die aufholt und aufrüstet. Und gegen die Vorurteile, die sich hierzulande wieder eingeschlichen haben.

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