/Strafvollzug: “Die eigentliche Frage ist: Wie können Drogen nicht im Knast sein?”

Strafvollzug: “Die eigentliche Frage ist: Wie können Drogen nicht im Knast sein?”

In Deutschland leben über 60.000 Menschen im Gefängnis. Die Hälfte von ihnen wird nach der Entlassung wieder rückfällig. Kritiker fordern deshalb mehr offenen Strafvollzug (eine Reportage über jugendliche Straftäter im offenen Vollzug lesen Sie hier). Doch wie sieht die Realität für die Mehrheit der Häftlinge in Deutschland aus? Jörn Patzak leitet das größte Gefängnis in Rheinland-Pfalz und erklärt, wo die Probleme liegen und warum er das System verteidigt.

ZEIT ONLINE: Seit 2014 leiten Sie die JVA Wittlich, das größte Gefängnis in Rheinland-Pfalz. Was für Gedanken gehen einem so am ersten Arbeitstag durch den Kopf?

Jörn Patzak: Ich hatte einen Heidenrespekt, als ich das erste Mal hier in die Anstalt gekommen bin. Auch wenn ich vorher 15 Jahre Staatsanwalt war und JVAs durchaus kannte, habe ich relativ schnell gemerkt, dass ich vom Vollzug keine Ahnung hatte. Zum Beispiel: Wie mache ich hier eine Tür auf und zu? Damit fängt es schon an. Wie schließe ich? Am Anfang stand ich wie der Ochs vorm Berg vor der Tür. Man muss wissen, in welche Richtung man den Schlüssel reinstecken muss und in welche Richtung man dreht. Wenn Sie es noch nie gemacht haben, machen Sie es erst mal falsch. Ein weiteres Beispiel ist das Personennotrufgerät, das jeder Bedienstete trägt. Ich musste erst einmal in die Bedienung eingewiesen werden.

ZEIT ONLINE: Was sind Ihre Aufgaben als Gefängnisleiter?

Patzak: Ich bin wie der Bürgermeister in einer kleinen Stadt. Der muss sich einerseits um die Bürger kümmern, aber andererseits die Abläufe im Blick haben. Ich habe 360 Bedienstete zu organisieren und 600 Häftlinge zu überwachen. Zu meinen Aufgaben zählen neben Personalangelegenheiten die organisatorischen Absprachen, vor allem solche, die auch andere Anstalten betreffen. Zudem mache ich die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Bei den Gefangenen bin ich insbesondere bei Lockerungsentscheidungen beteiligt. Hierfür sind zwar grundsätzlich die Abteilungsleiter zuständig, aber bei manchen schwerwiegenden Entscheidungen muss ich als Gefängnisleiter genehmigen. Manchmal spreche ich auch mit einem Gefangenen, aber das kommt selten vor. Bei so vielen Gefangenen bleibt dafür keine Zeit. In den viereinhalb Jahren, die ich jetzt schon Gefängnisleiter bin, war mir noch nicht eine Minute langweilig.

Bei uns ist es nicht bedrückend, sondern eher wie im Krankenhaus.

Gefängnisdirektor Jörn Patzak

ZEIT ONLINE: Wie sieht es in Ihrem Gefängnis aus?

Patzak: Sie würden sich wundern. Wir haben 2010 neu gebaut und der Neubau ist sehr modern, deswegen hat es nicht den Flair des Gefängnisses, wie man es aus dem Fernsehen kennt. Die Wände der verschiedenen Abteilungen sind mit unterschiedlichen Farben gestaltet. Die Gänge sind relativ breit, weit und hell. Im Altbau, der von 1902 bis 2010 betrieben worden ist, sieht es noch so aus, wie man es aus den Tatort-Filmen kennt: dunkle Gänge, schallende Türen, die zuknallen. Das ist das typische Bild des Bürgers von der JVA. Aber es ist nicht ausgeschlossen, dass wir den Altbau wegen der steigenden Häftlingszahlen nicht doch wieder in Betrieb nehmen müssen. Wer als Gefangener zu uns kommt, kommt direkt nach dem Eingangstor erst mal am Wasserauffangbecken vorbei. Da läuft das Oberflächenwasser rein, das sieht aus wie ein kleiner Teich. Da haben wir sogar Enten drin, die sich selbständig dort angesiedelt haben. Bei uns ist es baulich nicht bedrückend, es wirkt eher wie ein Krankenhaus.

ZEIT ONLINE: Die Enten sind aber nicht bei Ihnen im Vollzug?

Patzak: Wir nennen sie schon scherzhaft Vollzugsenten. Mit denen haben wir aber eigentlich nichts zu tun.

ZEIT ONLINE: Nach welchen Prinzipien wurde der Neubau gebaut?

Patzak: Vor etwa 100 Jahren war es noch so, dass man panoptisch gebaut hat, das heißt, das Aufsichtspersonal konnte von einem Mittelpunkt aus im gesamten Gebäude alle Zellen von unten bis oben überwachen. Das ist heute nicht mehr so. Mittlerweile sind unsere Abteilungen voneinander getrennt. Jede einzelne besteht aus drei Flügeln, in denen zwischen 75 und 90 Gefangene untergebracht sind. Wir unterscheiden nicht zwischen den Straftaten, haben aber eine abgetrennte Abteilung für die Untersuchungshaft, die Zugänge und die Drogen-Abstinenz-Abteilung. Wir haben jetzt viel kleinere Einheiten, damit ist es insgesamt ruhiger und die Betreuung für den Einzelnen besser.

Jörn Patzak, Leiter der Justizvollzugsanstalt Wittlich, am Eingang zum Gefängnis

Jörn Patzak, Leiter der Justizvollzugsanstalt Wittlich, am Eingang zum Gefängnis
© Harald Tittel/dpa

ZEIT ONLINE: Wie viele Gefangene wohnen in einer Zelle?

Patzak: In Deutschland haben die Gefangenen mittlerweile einen Anspruch auf Einzelhaft. Auf jedem Flügel gibt es einen oder zwei größere Räume, die auf Wunsch der Gefangenen doppelt belegt werden können. In Überbelegungssituationen wie im Moment müssen wir aber auch Einzelhafträume doppelt belegen, dann teilen sich zwei Häftlinge die 11-Quadratmeter-Zelle. Wir haben abgetrennte Nasszellen, das heißt Toilette und Waschbecken sind vom Rest der Zelle durch eine Wand abgetrennt. Das erlaubt uns, die Zellen doppelt zu belegen. Im alten Trakt ist die Toilette im Raum, da dürften wir das nicht, weil es die Privatsphäre des Häftlings verletzt hätte, wenn er vor einem Mithäftling die Toilette benutzen müsste. Geduscht wird nicht im Haftraum, sondern in Gemeinschaftsduschen.

ZEIT ONLINE: Wurden die Gefangenen 2010 am Umbau der Hafträume beteiligt?

Patzak: Kann ich mir nicht vorstellen.

ZEIT ONLINE: Sagen wir mal, ich sei verurteilt worden und komme zu Ihnen in die JVA. Wie sieht mein erster Tag aus?

Patzak: Bei Ihnen wäre es schon schwierig, weil Sie eine Frau sind und wir ein reines Männergefängnis sind. Aber sagen wir mal, Sie kommen mit einer Strafhaft zu uns. Am ersten Tag ist Aufnahme: Sie bekommen von uns Anstaltskleidung. Sie geben fast alles ab, was Sie besitzen. Das wird protokolliert und in Ihrer Gegenwart verplombt, damit es am Ende nicht heißt, es sei etwas weggekommen. Von da aus geht’s für Sie ins Krankenhaus, Sie werden medizinisch untersucht. Dann haben Sie ein Erstgespräch mit der Zugangsabteilung, wo der Abteilungsleiter und ein Sozialarbeiter Sie kennenlernen und versuchen, herauszufinden, wo Ihre Probleme liegen. Dann kommen Sie auf eine Zugangsabteilung. In der ersten Zeit sind die Belastungen des Gefängnisses am größten. Draußen geht für Sie ja gerade alles den Bach runter. Möglicherweise haben Sie Angst um Ihre Familie, vielleicht trennt sich ja Ihr Mann von Ihnen, wie geht es mit den Kindern weiter? Die Sorgen von draußen nehmen die Menschen mit ins Gefängnis, in eine Welt, die sie nicht kennen. Das Augenmerk der Zugangsabteilung liegt deswegen auf der Suizidprophylaxe.

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