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Sex: Passt mir dieser Penis nicht?

In unserer Kolumne “Schlafzimmerblick
beantwortet die Sexualtherapeutin Angelika Eck regelmäßig Ihre Fragen
zu Liebe, Sex und Partnerschaft. Denn über nichts wird häufiger
geschwiegen. Das wollen wir ändern. 

Wanda, 27 Jahre: Ich hatte bislang kaum penetrierenden Sex.
Nun habe ich einen Mann kennengelernt, mit dem das möglich werden könnte. Mich
beschäftigt eine sehr grundsätzliche Frage: Kommt es oft vor, dass ein Penis
anatomisch zu groß ist für eine Vagina, oder ist das sehr selten? Ich weiß es
nicht genau, habe aber etwas Sorge, dass er zu breit oder zu lang sein könnte.

Diese grundsätzliche Frage beschäftigt
viele Frauen. In ihr klingt die Befürchtung an, dass der Koitus mehr Schmerz
als Lust bereiten könnte aufgrund körperlicher Grenzen. Das soll nicht sein!

© Susanne Lencinas

Es kann ausnahmsweise vorkommen, dass eine
sehr, sehr zierlich gebaute Frau und ein Mann mit riesigem Penis zusammenkommen
und damit die anatomische Passung nicht optimal gegeben ist. Auch eine extrem
weite Vagina und ein sehr kleiner Penis würden eine optimale Stimulation für
beide Partner erschweren. Beide Extreme sind eher selten, und wenn, ist dieser
Umstand nicht mehr als eine suboptimale Voraussetzung. Sexualität ist anatomisch,
hormonell und neurobiologisch angelegt. Zu einem großen Teil ist sie Ergebnis
unserer Lerngeschichte im Umgang mit diesen körperlichen Voraussetzungen und
damit sehr formbar zu unseren Gunsten.

Sexuelle Passung ist nicht einfach
anatomisch gegeben oder nicht. Eine ganze Reihe anderer Faktoren ermöglicht eine
gute Abstimmung, Erregung und Lustempfinden. Sie relativieren den Längen- oder
Breitenunterschied.

Fangen wir beim Penis an. Die gute
Nachricht ist, dass er zumeist einen Besitzer mit Hirn hat. Er ist somit kein stumpfer
Rammbock, sondern besitzt ein Sensorium, spürt also, wo es eng, trocken oder
aber weit und feucht ist. Und er ist fein steuerbar. Wenn Sie Ihrem Liebhaber
vertrauen und mit ihm gut kommunizieren können, tun Sie das unbedingt im
Hinblick auf Ihr Empfinden. Sollte sich beim Eindringen oder davor oder danach
eine unangenehme Empfindung einstellen, machen Sie das deutlich. Penisse können
die Vulva streicheln, sanft antesten, ein wenig penetrieren, sich langsam
vortasten, Finger und Mund als Wegebereiter voraussenden. Das macht die
erotische Verständigung der Geschlechtsorgane erst interessant.

Die zweite gute Nachricht ist, dass Vulva
(was Sie von Ihrem Geschlecht außen ertasten und sehen können) und Vagina (der
Innenraum, der Kanal, der den Scheideneingang mit dem Muttermund, also zur
Gebärmutter hin verbindet) keine passiven Öffnungen sind, in die etwas
hineingesteckt wird. Sondern ein lebendiges Organ, ein fantastisches Wunder der
Flexibilität,
das es sogar erlaubt, Kinder aus der Gebärmutter ans Licht der
Welt zu befördern.

Nicht nur der Penis, sondern auch die
weiblichen Geschlechtsorgane verändern sich bei sexueller Erregung. Vermehrte
Durchblutung, Anschwellen der Schwellkörper, Feuchtwerden, ein herabgesetztes
Schmerzempfinden treten ein – und der obere Bereich der Vagina wird ganz weit. Es
entsteht also ziemlich viel Raum. Bei tiefem Eindringen kann der Muttermund
stimuliert werden, was manche Frauen angenehm bis erregend finden. Sind die
Stöße hart und werden mit einem langen Penis Stellungen ausgesucht, die
besonders tiefes Eindringen begünstigen (zum Beispiel von hinten), kann das
auch mal wehtun. Andere Faktoren, hormonelle oder Spannungen im unteren
Bauchraum, im Verdauungstrakt oder am Rücken, können ebenfalls zu Schmerzen führen.
Dann wäre ein Wechsel zu sanfteren Praktiken wichtig.

Was die Weite betrifft, so spielt die
Beckenbodenmuskulatur um die Vagina herum eine zentrale Rolle. Vielleicht
kennen Sie den Beckenboden vom Sport her und können ihn bewusst aktivieren und
lösen, mit diesen Muskeln spielen? Er ist ein komplexeres Gebilde, als viele
Frauen denken.

Wenn Sie sich vorstellen, Sie würden einen
Tampon in Ihrer Vagina weiter nach oben ziehen oder sanft hinausbefördern
wollen, können Sie vielleicht ein feines Muskelspiel wahrnehmen, ebenso, wenn
Sie versuchen, beim Pinkeln den Urinstrahl für einen Moment zu unterbrechen. Das
wären zwei von vielen Arten, den Beckenboden zu spüren. Kurzum: Der Beckenboden
hilft uns sehr bei der Steuerung des koitalen Geschehens. Ihn loszulassen,
bedeutet Weite schaffen; ihn anzuspannen, bedeutet, den vaginalen Innenraum,
insbesondere den unteren Teil, schmaler werden zu lassen und intensiver zu
stimulieren.

Durch körperliche oder psychische Umstände
kann die Beckenbodenmuskulatur dauerhaft stark angespannt sein. Manche Frauen
spüren das, manchen gelingt es dadurch nicht, etwas in die Vagina einzuführen,
selbst bei sexueller Erregung nicht. Oft ist die Vorstellung von der Größe des
Penis unverhältnismäßig riesig, die der Vagina winzig. Zu Recht haben sie dann
Angst vor Schmerzen beim Eindringen eines Penis. Diese Symptome werden klinisch
Vaginismus genannt.

Die Ursachen sind vielfältig, es lohnt
sich, ihnen auf den Grund zu gehen. Die sanfte Aktivierung des Beckenbodens und
ein liebevoller Umgang mit dem Geschlecht unter eigener Kontrolle sind
wichtige erste Schritte. Manchmal gibt es auf der seelischen Ebene Gründe, das
nicht zuzulassen. Diese sollten nicht übergangen, sondern mit sexualtherapeutischer
Unterstützung bearbeitet werden.

Wo auch immer Sie stehen: Ich empfehle
Ihnen, Ihr Geschlecht regelmäßig selbst zu berühren, außen und innen, und ganz bewusst die Veränderungen mit zunehmender Erregung
wahrzunehmen. Spüren Sie, wie viel Raum bei Ihnen dort entsteht. Wenn Sie Lust
haben, können Sie auch zuerst mit einem Dildo oder ähnlichem die Kapazität Ihrer
erregten Vagina behutsam testen. Dann haben Sie Vertrauen in Ihr Geschlecht und
Ihr Geschlecht in Sie als seine Hüterin und Kennerin. Beim sexuellen
Zusammensein mit Ihrem Geliebten werden Sie dann in innerem Kontakt miteinander
stehen, Ihre Vagina und Sie, und zusammen eine wunderbar selbstbewusste Einheit
bilden, die weiß, was sie will.  

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