/S-Bahn Hamburg: “Wir haben gerade keinen guten Lauf”

S-Bahn Hamburg: “Wir haben gerade keinen guten Lauf”

Stundenlange Verspätungen, verpasste Verbindungen und überfüllte Züge: In Hamburgs S-Bahn-Netz ist derzeit der Wurm drin. Bei einem Pressegespräch gaben Wirtschaftssenator Michael Westhagemann und S-Bahn-Chef Kay Uwe Arnecke nun bekannt, mit welchen Maßnahmen sie das Chaos bekämpfen wollen. Arnecke hatte danach noch ein paar Minuten Zeit für gezielte Nachfragen.

ZEIT ONLINE: Herr Arnecke, wann
sind Sie zuletzt mit der S-Bahn gefahren?

Kay Uwe Arnecke: Heute Morgen.

ZEIT ONLINE: Welche Linie?

Arnecke: Ich fahre immer mit der S3 von Jungfernstieg nach Hammerbrook,
da ist mein Büro.

ZEIT ONLINE: Und sind Sie
pünktlich angekommen?

Arnecke: War alles gut.

ZEIT ONLINE: Viele Fahrgäste fanden
zuletzt nicht alles gut. Nach unserem Aufruf haben uns innerhalb von nur einem
Tag mehr als 50 Leserinnen und Leser ihre Probleme mit der S-Bahn geschildert,
eine Leserin hat wegen der Verspätungen offenbar ihren Job verloren. Können Sie
verstehen, dass die S-Bahn einen schlechten Ruf hat?

Arnecke: Ich telefoniere ja wöchentlich mit zwei, drei Fahrgästen,
die mir dann auch entsprechende Rückmeldungen geben. Ich kann das schon
verstehen. Wenn etwas schiefläuft, ärgert uns das am meisten. Und tatsächlich
ist es so, dass wir gerade, um das mal salopp auszudrücken, keinen guten Lauf
haben.

ZEIT ONLINE: Ist es an der Zeit,
den Fahrgästen Rabatte zu gewähren?

Arnecke: In meinen Gesprächen mit den Fahrgästen kommt diese
Forderung ehrlich gesagt fast nie auf. Viel wichtiger ist den Kunden ein
zuverlässiger Betrieb, daran arbeiten wir mit aller Kraft.

ZEIT ONLINE: Wie lauten denn die
aktuellen Pünktlichkeitswerte?

Arnecke: Im Schnitt sind in diesem Jahr 93 Prozent unserer Züge
pünktlich abgefahren, waren nach unserer Definition also weniger als drei Minuten
verspätet. Damit liegen wir einen Prozentpunkt unter unserem Zielwert von 94
Prozent. Besonders schlecht sind wir momentan auf der S2 und der S21, dort haben wir aktuell den meisten
Nachholbedarf.

ZEIT ONLINE: Woran hapert’s?

Arnecke: An drei Dingen. Auf der S2 und der S21 liegt es vor allem an
unseren neuen Zügen der Baureihe 490, die laufen noch nicht stabil. Da sind wir
im Gespräch mit dem Hersteller. Derzeit wird ein Softwareupdate aufgespielt,
das wird bis Anfang Juli abgeschlossen sein. Auch an anderen Dingen müssen wir
noch arbeiten. Die Türen beispielsweise haben eine neue Sicherheitstechnik, die
europaweit vorgeschrieben ist, aber dafür sorgt, dass die Tür blockiert, wenn
sie absichtlich aufgehalten wird. Das kommunizieren wir gerade an unsere
Fahrgäste.

ZEIT ONLINE: Das hilft aber noch
nicht gegen Mängel in der Infrastruktur. Das Chaos am Dienstag auf der Strecke
nach Harburg hatte mit einer Weichenstörung zu tun.

Arnecke: Das ist der zweite Punkt. In der Infrastruktur erleben wir
gerade zu viele Störungen. Gemeinsam wollen wir das Problem jetzt angehen. Senator
Michael Westhagemann hat sich für einen runden Tisch mit allen Beteiligten
eingesetzt. Das dritte Problem ist, dass auch die externen negativen Einflüsse
zunehmen, vor allem haben wir mehr Personen auf den Gleisen. Deshalb werden wir
die S-Bahn-Strecken künftig einzäunen und in unterirdischen Stationen die
Zugänge in die Tunnel sichern, damit dort niemand hineingelangt wie am
Dienstag an der S-Bahn-Station Reeperbahn. Mit den Planungen dafür beginnen wir
noch in diesem Jahr.

ZEIT ONLINE: In den nächsten fünf
Jahren erhält die Bahn vom Bund wohl 4,6 Milliarden Euro jährlich für die
Instandhaltung des Netzes, was von mehreren Seiten als zu wenig kritisiert
wurde. Warum sollte ausgerechnet das Hamburger Netz davon etwas abbekommen,
wenn die Bahn gleichzeitig bis 2030 die Fahrgastzahlen im Fernverkehr
verdoppeln will, was auch nicht ohne stabiles Netz geht?

Arnecke: Die Erfahrung im ÖPNV zeigt, dass das Geld dorthin geht, wo
gute Planungen vorliegen, und das ist unsere Strategie: Erst mal gut planen und
dann schauen, dass unseren Projekten Priorität eingeräumt wird und wir
entsprechende Mittel bekommen. Hamburg ist gut beraten, in die Offensive zu
gehen und zu sagen: Wir wollen bei der Modernisierung der Schiene vorn sein –
und das sind wir ja. 2021 sollen zwischen Berliner Tor und Bergedorf vier
hochautomatisierte S-Bahnen fahren, die ersten des Landes.

ZEIT ONLINE: Was erhoffen Sie sich
davon?

Arnecke: Eine Kapazitätserhöhung. Wir haben heute 30 Prozent mehr
Fahrgäste als noch 2007 und rechnen für die Zukunft mit einem weiteren Zuwachs inklusive
neuer Linien von noch mal 30 Prozent. Wenn wir es schaffen, durch die
Automatisierung auf vorhandenen Strecken die Kapazität zu erhöhen, ist das
natürlich viel ökonomischer als neue Strecken zu bauen.

ZEIT ONLINE: Was können Sie den Fahrgästen, die
dieses Interview gerade in einer überfüllten, stehenden S-Bahn lesen, an Trost
mitgeben?

Arnecke: Wie
gesagt, Störungen ärgern alle Mitarbeiter der S-Bahn Hamburg und mich
persönlich genauso wie die Fahrgäste auch. Aber das ist nur ein kleiner Trost.
Viel wichtiger ist, dass wir wieder besser werden, und da bin ich sehr optimistisch,
dass wir das auch schaffen.

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