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Migrationspaket: Ein kleines Ja und ein großes Nein

Einwanderungsgesetz – Seehofer wirbt für Einwanderungsgesetz
Der Bundestag stimmt über sieben Gesetzentwürfe zum Thema Einwanderung ab. Innenminister Seehofer bezeichnet das Einwanderungsgesetz als “Zäsur in der Migrationspolitik”.
© Foto: Odd Andersen/AFP/Getty Images

Wer mag, kann heute im Bundestag Zeuge eines Vorgangs werden, der sich nicht mehr oft wiederholen wird. Auf den letzten Metern, während ihr draußen im Land längst die Mehrheit weggebröckelt ist, beschließt die Große Koalition ein gigantisches Gesetzespaket zum Thema Migration. Obwohl der Boden unter beiden Parteien schwankt, haben sich Innen-und Arbeitsmarktpolitiker von Union und SPD so zusammengerauft, dass sie ausgerechnet in der Kampfzone Migration einen gewissen Geländegewinn erzielt haben.

Der Kerngedanke des Gesamtpakets aus acht Einzelgesetzen, vom Fachkräfteeinwanderungs- bis zum Geordnete-Rückkehr-Gesetz lautet schlicht: Ja heißt Ja. Und Nein heißt Nein. Wer sich reinhängt, Deutsch lernt, eine Ausbildung macht oder eine hat und als Fachkraft ins Land kommen möchte, dem wird es ein bisschen leichter gemacht. Kritiker monieren zwar, dass die Auflagen speziell für die schon hier lebenden Geduldeten immer noch zu hoch sind – denn wer bekommt schon ohne gesicherten Aufenthaltsstatus die 18 Monate in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung zusammen, die das neue Duldungsgesetz verlangt?

Aber die absurde Situation, dass gerade die gut Integrierten aus ihren Schulen und Lehrstellen herausgerissen und abgeschoben werden, weil man sie schlicht leichter findet als die Abgetauchten, die wollen die Koalitionäre aufbrechen.

Die Kritik der Liberalen ist richtig: Es ist immer noch zu schwer für den bosnischen Dachdecker oder den senegalesischen Bäckerlehrling, hier anzukommen, für die betroffenen Unternehmer zu bürokratisch, jene einzustellen, und von einem Grundmisstrauen geprägt, das vor allem Unionspolitiker dem ganzen Thema gegenüber hegen. Die Erkenntnis, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, war vor der Flüchtlingskrise von 2015 in der Union schon mal verbreiteter als heute. Eines muss man allerdings einräumen: an Horst Seehofer lag es nicht. SPD-Innenpolitiker wie Burkhard Lischka berichten verblüfft über die Kompromissbereitschaft des CSU-Innenministers, der sich dafür schon Ärger mit seiner Fraktion eingehandelt hat.

Warum soll es linke Politik sein, Betrug durchgehen zu lassen?

Das kleine Ja des Migrationspakets wird flankiert von einem großen Nein. Im vergangenen Jahr sind mehr Abschiebungen gescheitert als gelungen – vor allem, weil die Betroffenen schlicht nicht anzutreffen waren. Viele verschleiern ihre Identität, und zwar vor allem Menschen aus Ländern mit geringen Anerkennungsquoten. Dagegen existiert das Problem ausgerechnet bei Syrern kaum, obwohl sie aus einer der brutalsten Diktaturen der Welt kommen, also den Kontakt zu Behörden des Regimes fürchten müssen. Wo es sich da um Betrug und nicht um Notlagen handelt, soll es künftig Konsequenzen haben. Auch wer bereits in einem anderen europäischen Land einen Aufenthaltstitel hat, kann dann nicht mehr mit Sozialleistungen in Deutschland rechnen. Warum es linke Politik sein soll, Betrug gegenüber Behörden und Sozialkassen durchgehen zu lassen (beziehungsweise zu bestreiten, dass es diesen Betrug überhaupt gibt), müssten die Oppositionsparteien vielleicht noch einmal erklären. Linke-Chefin Katja Kipping hat das alles jedenfalls “schäbig” und “menschenverachtend” genannt.

Recht haben Grüne und Linke mit ihrer Kritik, es sei zu wenig Zeit für die parlamentarische Beratung gewesen, insbesondere für die Vielzahl der Änderungsanträge. Ein Antrag auf Vertagung scheiterte. Gerade bei diesem Thema, das die Gesellschaft dermaßen in Aufregung versetzt, ist diese Hektik geradezu undemokratisch. Aber die große Koalition hat eben schlicht nicht mehr die Kraft, für gemeinsame Beschlüsse auch zu kämpfen.

In Momenten wie diesen spürt man, wie wenig die bereitwillige Aufnahme von 2015 politisch verdaut ist. Dass erst eine Million Menschen, jetzt immer noch pro Jahr etwa 200.000 aufgenommen, untergebracht, betreut und ernährt worden sind, wollen die Linken nicht honorieren und die Rechten ungeschehen machen. Das Terrain dazwischen wird immer schmaler. Heute kann man es im Bundestag noch einmal besichtigen.

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