/Adel: Eure Durchlaucht?

Adel: Eure Durchlaucht?

Der Adel war mir lange Zeit völlig schnuppe. Es gibt ihn ja auch schon
lange nicht mehr: Vor genau hundert Jahren, 1919, wurde er abgeschafft. Und zwar aus guten
Gründen. Es war kein Zufall, dass der Schnitt mit dem Ende eines Krieges und der Einführung
des Frauenwahlrechts zusammenfiel. Seither ist der Adel Geschichte, es gibt keine Adeligen
mehr in der deutschen Republik, nur noch die Nachfahren eines historischen, glücklicherweise
überwundenen Standes.

Leipzig liegt nicht mehr in der DDR, und niemand fliegt in die Kolonie Deutsch-Südwestafrika
in den Urlaub, sondern nach Namibia. Nur über den Adel sprechen die Deutschen immer noch
voller Unterwürfigkeit und Interesse, als gäbe es ihn bis heute.

Ich bin da gewissermaßen Experte, auch wenn die Autorenzeile meine durch und durch
bürgerliche Existenz längst verraten hat: Scheytt, ganz schlicht, ohne Präposition und
Schnörkel hinter einem ordinären Stefan. Vor 15 Jahren habe ich allerdings eine Frau mit einem
“von” im Namen geheiratet, gemeinsam zogen wir aufs Land in der Nähe von Tübingen. Im Dorf
sprach sich schnell herum, dass die Neue eine “Blaublütige” sei. Schon bald fragte mich die
erste Nachbarin im Flüsterton, als glaube sie, mit ihrem Freiherrn oder Grafen zu sprechen, wo
denn unser Schloss stünde. Und ob unsere Wälder wohl in der Nähe lägen?

Ich erklärte ihr, ich wisse nur, dass der Urgroßvater meiner Frau, ein preußischer General,
für irgendwelche fragwürdigen Verdienste im chinesischen Boxeraufstand im Jahr 1900 vom
letzten deutschen Kaiser in den Adelsstand erhoben worden war. Deshalb gebe es das “von” –
aber weder Schlösser noch Wälder. Im Gegenteil, fügte ich an: Wir seien wegen der niedrigeren
Mieten hierher aufs Land gezogen.

Die Begegnung ging mir nicht aus dem Kopf: Wie kam die Nachbarin nur auf die Idee, es sei
etwas Besonderes, im selben Dorf wie diese Frau von Soundso zu leben? Fortan verfolgte ich
aufmerksamer, wie sich die Adelsnachfahren in Deutschland selbst präsentieren – und wie sie
dargestellt werden. Je länger ich das tat, desto grotesker kam mir alles vor.

Warum glauben so viele, es gebe immer noch einen adeligen Stand in Deutschland? Und halten
sich selbst offenbar für etwas Niederes?

Und wieso, um Himmels willen, lassen so viele Adelsnachfahren keine Gelegenheit aus, zu
demonstrieren, dass sie nicht nur reich, sondern etwas Besseres seien?

Die Familie Fürstenberg in Donaueschingen etwa, nach eigenen Angaben Deutschlands
zweitgrößter privater Waldbesitzer, inszeniert sich auf ihrer Homepage als “Fürstliche
Familie” mit “S. D. der Fürst” (S. D. steht für Seine Durchlaucht), der mit einem Labrador und
zwei Möpsen lässig auf einer Treppe sitzt, im Hintergrund die Figur eines schwarzen Dieners in
Livree; außerdem “I. D. (Ihre Durchlaucht!) die Fürstin” – eine “geborene Prinzessin” – sowie
“S. D. der Erbprinz” und dessen Frau “I. D. die Erbprinzessin” mit ihren drei Kindern, zwei
“Prinzen” und einer “Prinzessin”. Als “Ihre Durchlaucht” begrüßt in der ARD auch der
Quizmaster Kai Pflaume die “Fürstin” Gloria von Thurn und Taxis. Fehlt nur noch Kaiser Franz
Joseph I., der ergriffen nach seiner “Sisi!” ruft.

Als wäre diese Titelhuberei allein nicht peinlich genug, jazzen Journalisten den historischen
Adel auch noch in seinen alten Stand zurück: Die Fake-Prinzessinnen und Pseudo-Fürsten sind
Teil eines medialen Geschäftsmodells, das mit dem Geschäftsmodell vieler Adelsnachfahren
bestens harmoniert. Selbst in einer seriösen Regionalzeitung wie der
Ulmer Südwest
Presse

schrieb der Korrespondent im November 2018 unter dem Titel “Königliche Hoheit”
über seinen Besuch bei Franz Herzog von Bayern: “Im Gespräch entpuppt sich der Herzog als
überzeugter Demokrat.” Als was denn sonst? Würde er die Rückkehr auf den Thron betreiben, wäre
er ein Fall für den Verfassungsschutz!

Warum lassen so viele Adelsfamilien keine Gelegenheit aus, zu demonstrieren, dass sie nicht nur reich, sondern etwas Besseres seien?

Aber der Besucher lässt nicht locker: Wie das denn “jetzt so wäre mit der Monarchie und der
Königskrone für Herzog Franz von Bayern”? Da fragt im Jahr 2018 ein Journalist den Nachfahren
eines Monarchen, ob der Gefallen an der Krone finden würde. Und bohrt so lange, bis Herr von
Bayern antwortet: “Wenn sich die Notwendigkeit ergäbe, müsste die Familie zur Verfügung
stehen. Wenn wir es da nicht täten, wären wir alle sinnlos gewesen.”

Bei so viel geschichtsvergessener Demut überrascht es kaum noch, dass der Journalist den
Porträtierten konsequent als “Herzog Franz von Bayern” bezeichnet – obwohl es selbst in Bayern
keine Herzöge mehr gibt. Die Weimarer Reichsverfassung – ebenso wie die Bayerische – bestimmte
vor 100 Jahren, dass die Vorrechte des Standes aufgehoben und Adelsbezeichnungen nur noch
Bestandteil des Nachnamens sind. Deshalb sind Herzog, Fürst oder Freiherr so stinknormale
Namen wie Söder, Beckenbauer, Schulze oder Scheytt. Korrekt heißt der Nachfahr der
Wittelsbacher also Franz Herzog von Bayern.

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