/Italien: Zuhören ist kein europäisches Defizit

Italien: Zuhören ist kein europäisches Defizit

Nun ist geschehen, was zu erwarten war. Die EU-Kommission empfiehlt ein Defizitverfahren gegen Italien. Die Regierung in Rom hält sich nämlich nicht an Vereinbarungen und macht munter weiter Schulden. Anlass für ein solches Verfahren gab es schon im Herbst 2018, aber die Kommission ließ sich auf einen Kompromiss ein. Kurz vor der Europawahl wollte man den Konflikt mit Italien nicht riskieren. Das würde nur die populistischen Parteien dort stärken, das war vermutlich das Kalkül. Jetzt sind die Europawahlen gelaufen, und Matteo Salvini hat mit seiner Lega 34 Prozent eingefahren. Milde aus Brüssel hat den Mann nicht bremsen können, nicht in seinem Erfolg und nicht in seiner Aggressivität gegenüber der EU.

Also hat die Kommission sich für Härte entschieden. Sie zieht den Knüppel des Defizitverfahrens aus der Tasche – wobei dieser Knüppel etwas Zeit braucht, um seine volle Kraft zu entfalten. Der Europäische Rat, die Mitgliedsstaaten, muss über die Empfehlung der Kommission entscheiden. Wird das Verfahren in Gang gesetzt, könnte es am Ende saftige Strafzahlungen für Italien geben – bis zu 0,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Allerdings ist die Kommission immer noch sichtbar bemüht, den Konflikt mit Italien nicht eskalieren zu lassen. Finanzkommissar Pierre Moscovici sagte mehrmals: “Unsere Türen sind offen. Wir sind bereit, zuzuhören!”

Trotz aller Provokationen mit Italien reden – offen bleiben, solange es geht. Den Knüppel heben und mit Engelszungen sprechen. Das bleibt die Haltung in Brüssel. Das kann man als Schwäche interpretieren. Und Matteo Salvini wird das tun. Am Ende knickt Brüssel immer ein, man muss nur hart genug bleiben. So wird seine Interpretation lauten und daraus wird er folgern, genauso weiterzumachen wie bisher.

Respekt für die Anstrengungen der italienischen Bürger

Die Kommission kann auf Italien Druck ausüben, das tut sie auch und sie tut es zu Recht. Denn mit dem Schicksal Italiens ist das der gesamten EU verbunden. Geht der italienische Staat bankrott, dann bezahlen in erster Linie die Italienerinnen und Italiener den Preis dafür – doch alle anderen EU-Bürger wären davon betroffen. Es ist daher nicht nur die durch Verträge gedeckte rechtliche, sondern auch die politische Verantwortung der Kommission, die italienische Regierung in die Pflicht zu nehmen.

Aber die EU-Kommission kann nicht die Zuchtmeisterin der italienischen Regierung sein, dafür fehlen ihr die Mittel – und es wäre wohl auch kontraproduktiv, in diese Rolle schlüpfen zu wollen. Eine strafende Union hat bisher nur die Populisten gestärkt. Es ist also eine Gratwanderung, die die Kommission beim Umgang mit Italien unternimmt. Das ist kein Zeichen von Schwäche, sondern einer realistischen Einschätzung der eigenen Möglichkeiten sowie der politischen Lage in Italien.

Die Kommission ist gut beraten, darauf zu achten, wie sie zu den Italienern spricht. Verständnis ist dabei das Schlüsselwort, Verständnis für die vielen Millionen Italiener, die seit Jahren verzweifelt gegen den Abstieg kämpfen. Respekt auch für die Anstrengungen der italienischen Bürgerinnen und Bürger. Viele von ihnen wissen sehr wohl selbst, wer für ihre Misere verantwortlich ist, nicht die Brüsseler Bürokraten, sondern die eigene parasitäre politische Klasse. Aber diese Erkenntnis ist für Italiener leichter zu akzeptieren, wenn die Europäische Union nicht herrisch und selbstherrlich auftritt.

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