/YouTube: “Besonders Mädchen profitieren von Videos im Matheunterricht”

YouTube: “Besonders Mädchen profitieren von Videos im Matheunterricht”

Die Videoplattform YouTube ist extrem beliebt bei Jugendlichen. Das ist aber kein Grund zur Beunruhigung. Im Gegenteil. Wie eine Studie, die vom Rat für Kulturelle Bildung, einem von Stiftungen finanzierten Beratungsgremium, erstellt wurde, zeigt, nutzen Schülerinnen die darauf angebotenen Videos nicht nur zur Berieselung oder für Stylingtipps, sie lernen auch ganz gezielt für die Schule damit.

Sebastian Schmidt, der an einer bayerischen Realschule Mathematik, Religion und Informationstechnologie unterrichtet, setzt schon seit einigen Jahren selbst erstellte YouTube-Videos im Unterricht ein.

ZEIT ONLINE: Jeder zweite
jugendliche Nutzer nutzt YouTube für die Schule. Überraschen Sie die Zahlen?

Sebastian Schmidt: Kein bisschen. Meine Schüler spielen
“Stadt, Land, Fluss, YouTuber”. Die Plattform ist wahnsinnig populär.

ZEIT ONLINE: Sie setzten seit 2013
Videotutorials in ihrem Matheunterricht ein. Warum?

Schmidt: Weil ich selbst mit solchen
Tutorials lerne. Wenn ich mir einen Krawattenknoten binden will, schaue ich mir
das auf einem YouTube-Video an, wenn ich einen Kinderwagen zusammenbaue oder
wenn ich ein bestimmtes Gericht kochen will. Irgendwann dachte ich: Das könnte
ich doch auch für den Unterricht nutzen.

ZEIT ONLINE: Also ein Video statt
Unterricht?

Schmidt: Das sicher nicht. Angefangen haben
meine Videos eher als Erinnerung. Meine Schüler beherrschten den Stoff, wenn er
dran war, aber ihn zu behalten, fiel manchen schwer. Also habe ich ein paar Videos
erstellt, die im Prinzip nur den Stoff einer Stunde zusammenfassten. Sodass
die Schüler wieder darauf zurückgreifen konnten. Diese Videos habe ich dann auf
YouTube hochgeladen.

Später habe ich dann von der Methode des Flipped Classroom
erfahren. Im Prinzip ist das umgedrehter Unterricht, der mit der Hausaufgabe
beginnt. Daheim bereiten sich die Schüler mithilfe eines Erklärvideos auf den Unterricht vor. In der Schule haben wir dann viel Zeit zu vertiefen, zu üben oder einfach nur darüber zu diskutieren. Ich verwende am liebsten Impulsvideos zur Vorbereitung, Öffnung des Unterrichts durch eine Aufgabe, entdeckendes Lernen. Das Erklärvideo rundet dann eher die Stunde zur Nachbereitung ab.

ZEIT ONLINE: Hatten Sie auch
schlechte Erfahrungen?

Schmidt: Klar. Es gibt gerade bei neuen
Schülern immer welche, die glauben, dass sie im Unterricht schlafen
können, und den Stoff dann mit einem sechsminütigen Video nachmittags
nachholen können. Aber das funktioniert nicht.

ZEIT ONLINE: Was sagen Ihre
Schüler zu den Videos?

Schmidt: Die Allermeisten erreiche ich damit sehr gut. Aber es gibt
natürlich auch Kritik. Eine Schülerin sagte mal, ich hätte ihr YouTube
verdorben. Neben den Schmink und Stylingtutorials werden ihr jetzt in ihrer Timeline immer Mathevideos angeboten. Über diesen Gegenpol freue ich mich.

ZEIT ONLINE: In der Studie
beschwerten sich einige Schüler über die Qualität der Lernvideos im Netz.

Schmidt: Das ist ja auch ein Lerneffekt. Nur weil etwas bei YouTube steht, ist es noch lange nicht richtig, gut oder wahr. Wir lassen
auch selbst Videos von den Schülern erstellen. Wenn sie ihre Tutorials selbst
machen, wenn sie also anderen erklären, wie etwas geht, dann lernen sie es
auch. Und je mehr Hochglanz sie in ihre Videos bringen wollen, desto mehr geben
sie sich auch mit dem Inhalt Mühe und beherrschen ihn dann besser. 

ZEIT ONLINE: Als Reaktionen
auf die Studie zur Nutzung von YouTube zur Bildung kommentierte ein User von ZEIT ONLINE, dass die Plattform das selbständige Denken abschaffe. Was sagen Sie
dazu?

Schmidt: Das stimmt ein Stück weit. Ein Video vermittelt dem Zuschauer
schnell die Vorstellung, dass er das, was er da erklärt bekommt, auch
beherrscht. Aber das stimmt natürlich nicht. Um etwas zu können, braucht man
Interesse, Zeit, Fleiß, Ausdauer und selbstständiges Denken. Da reicht es nicht, sich von einem
Filmchen berieseln zu lassen. Videotutorials sind immer nur ein Bruchteil des
Lernens. Ich zum Beispiel kann bis heute keinen doppelten Windsor, obwohl ich
ganz viele Krawattenvideos geschaut habe.

ZEIT ONLINE: Also schafft YouTube die Schule nicht ab?

Schmidt: Nein, auf gar keinen Fall. Aber ein YouTube-Video
ermöglicht ein viel individuelleres Lernen. In Mathematik zum Beispiel
profitieren meiner Meinung nach besonders die Mädchen von YouTube-Videos. Die meisten Schülerinnen
wollen nämlich etwas verstehen, bevor sie es anwenden. Sehr häufig brauchen sie
mehr Sicherheit. Ein Video, dass sie so oft schauen können, bis sie den Inhalt
wirklich begriffen haben, hilft ihnen. Viele der Jungen stürmen gerne sofort
los, noch bevor sie irgendwas verstanden haben. 

ZEIT ONLINE: Wie ist es mit
der Konkurrenz im Netz? Gibt es nicht die Gefahr, dass Ihre Schüler sich
einfach ein anderes Videotutorial anschauen und dann etwas Falsches lernen?

Schmidt: Gerade bei Mathe gibt es sehr viele sehr gute Videos von
sehr guten Lehrern. Da mache ich mir keine Sorgen. Von der Konkurrenz lerne ich
manchmal selbst sogar, wie man Dinge gut erklärt.

ZEIT ONLINE: Können die
Schüler selbst falsche Inhalte erkennen?

Schmidt: Ich versuche, ihnen das auch beizubringen. Zum Beispiel
stelle ich ihnen als Hausaufgabe, selbstständig ein Video zu suchen, das ihnen
eine Aufgabe erklärt, wenn ich weiß, der erste Treffer ist ein Fake. Im
Unterricht können wir dann besprechen, aus welchen Gründen sie nicht auf diesen Fake hereinfallen sollten und wie sie falsche Inhalte erkennen. Zu 100 Prozent
kann man das nicht ausschließen. Aber es gibt Indikatoren: Schaut in den
Kommentaren nach, beachtet die Klickzahlen, schaut auch andere Treffer an, etc.

ZEIT ONLINE: Gibt es
Unterschiede zwischen den Fächern? Also eignet sich Mathe mehr als Religion?

Schmidt: Digitale Innovationen gehen häufiger von Mint-Fächern aus.
Aber das bedeutet nicht, dass sich deswegen nur Mathe dafür eignet. Ich kann
natürlich auch Wortstämme oder Grammatik erklären lassen.

ZEIT ONLINE: Ihre Videos sind
frei zugänglich. Wie steht es da um Urheberrecht?

Schmidt: Das ist natürlich ein Thema und setzt auch beim Lehrer digitale Kompetenzen voraus. Den eigenen Unterricht zu
präsentieren, dazu gehört auch Mut. Jeder kann meine Videos kommentieren oder
auch Ausschnitte daraus für etwas anderes missbrauchen. Ein Lehrer, der sich
dem nicht gewachsen fühlt, kann aber einfach das Angebot der Kollegen nutzen,
das schon im Netz zu finden ist.  

ZEIT ONLINE: YouTube ist
eine kommerzielle Plattform, sie ist Teil des Geschäftsmodells von Google und
zeigt jede Menge Werbung. Können Lehrer das Angebot also einfach so empfehlen?

Schmidt: Für mich ist das kein Problem, ich schalte die Werbung ab. Dennoch ist das auch ein wichtiges Thema für den Unterricht: Geschäftsmodelle zu entdecken, Absichten der Künstler zu hinterfragen, kritisch zu sein.

ZEIT ONLINE: Wie reagieren
die Eltern auf die Nutzung von YouTube beim Lernen?

Schmidt: Zu Beginn vor sechs Jahren waren sie skeptisch. Aber je
länger ich das mache, desto mehr Lob und Unterstützung bekomme ich von den
Eltern. Das beste Argument ist natürlich: Die Noten werden besser.

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