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Mai Thi Nguyen-Kim: Bei ihr macht’s klick

Ihre YouTube-Videos über Genmanipulation und Feinstaub schauen Hunderttausende. Jetzt erobert Mai Thi Nguyen-Kim den WDR. Wer ist diese Frau, der alles gelingt?

Dieser Text stammt aus der neuen Print-Ausgabe von ZEIT Campus. Es
geht um Hatice und Meral, die in der Türkei für Frauenrechte kämpfen und darum, wie Polizeischüler gegen Diskriminierung und Rassismus im Dienst gecoacht werden. Jetzt am Kiosk, in vielen Mensen
oder direkt bei ZEIT ONLINE kaufen.

Auf ihrem T-Shirt steht “Oh Crêpe”, dabei läuft es ziemlich gut für sie. Gegen 22 Uhr an einem Freitagabend im März bekommt Mai Thi Nguyen-Kim mal wieder ein Angebot. Eben saß sie hier, im WDR-Studio BS 2, als Gast in der Talkshow
Kölner Treff.
Zum Weltfrauentag waren “ausschließlich erfolgreiche, witzige und kluge Frauen” eingeladen, Schauspielerin Katja Flint zum Beispiel. Bei Kölsch plauderten sie über Feminismus. Nun taucht ein Mann in lila Polohemd und mit Gesundheitssneakern auf: Kabarettist und Arzt Eckart von Hirschhausen. Er versucht, Nguyen-Kim anzuwerben für gemeinsame Projekte: Hast du ein Management? Nein. Einen Producer? Nein. Machst du etwa alles selbst? Ja.

Sie macht wirklich alles selbst.

Nguyen-Kim, 31, redet über Wissenschaft: Als Art Science-Influencerin bei YouTube, wo sie mehr als 350.000 Abonnenten Tierversuche, Transgenderbiologie oder Zahnpastalügen erklärt, und als Moderatorin bei der wöchentlichen WDR-Sendung
Quarks
als Nachfolgerin von Ranga Yogeshwar. Mal streitet sie sich bei
Maischberger
mit Wolfgang Kubicki von der FDP über den Diesel, mal steppt sie mit Jan Böhmermann im
Neo Magazin Royale. Sie trägt den Titel “Wissenschaftsjournalistin des Jahres”, und ihr erstes Sachbuch,
Komisch, alles chemisch!,
stand auf Platz 2 der
Spiegel-Bestsellerliste.

Wer ist diese Frau, der momentan alles zu gelingen scheint?

Sie selbst sagt: “Ich bin stoisch, ich bin entspannt, und ich kann mich saugut konzentrieren.” Das ist natürlich nur ein Teil der Wahrheit. Aber Komplexes zu vereinfachen ist ja auch ihr Job.

Ihren ersten Termin hatte Nguyen-Kim an diesem Freitag morgens um viertel vor neun. Da kam sie mit ihrem Rollkoffer bei der Social-Media-Konferenz Tincon in Düsseldorf an, um zwei Vorträge vor Jugendlichen zu halten. Es ging um Fakt und Fake im Internet. Am Nachmittag dann schnell mit dem ICE rüber nach Köln zum WDR. Nach zwanzig Minuten Powernap in der Garderobe des
Kölner Treffs
war sie wieder voll da, angestrahlt von unzähligen Scheinwerfern, umringt von sechs Kameras und gut 140 klatschenden Zuschauern im Studio. Im Anschluss Pressefotos, dann von Hirschhausen.

Dass sie von Termin zu Termin eilt und Fernsehpromis mit ihr arbeiten wollen, hat Nguyen-Kim nicht dem Zufall zu verdanken. Sie hat auf sich selbst gewettet, obwohl fast alle dagegen waren. Ihre Eltern, ihre Freunde, der gesunde Menschenverstand.

Einen Tag später zeigt Nguyen-Kim ihre Darmstädter Wohnung, ihr Mann kocht Kaffee. An der Wohnzimmerwand hängen viele Fotos von ihrer Hochzeit. Ihren Grimme-Online-Award und die anderen Preise hat sie in einem Karton bei ihren Eltern geparkt. Wenn sie zu Hause ist, gilt für ihren Mann ein
maiLab-Verbot. “Gerade gibt es ständig irgendwo was über mich, da muss ich meine Stimme nicht auch noch aus dem Wohnzimmer hören”, sagt sie.


ZEIT Campus /2019

Dieser Text stammt aus dem ZEIT Campus Magazin 4/19. Das aktuelle Heft können Sie am Kiosk oder hier erwerben.

Nguyen-Kim erzählt von einem Tag im März 2017, als sie sich gegen das Leben entschied, auf das sie seit Jahren hingearbeitet hatte. Das Einser-Abitur, das Chemiestudium in Mainz, die Forschungsaufenthalte am MIT und in Harvard, die Promotion in Aachen und Potsdam. Als BASF ihr eine Laborleiterstelle anbot, klang das wie die logische Fortsetzung ihrer Biografie. Matthias Leiendecker, 32, damals noch ihr Verlobter, war ebenfalls gerade als promovierter Chemiker in der Pharmaindustrie eingestiegen. Vor ihnen lag der Entwurf eines Lebens, so aufgeräumt wie das Periodensystem. Zwei sichere Jobs mit hohen Gehältern, nach ein paar Jahren ein Haus im Grünen, vielleicht ein Elektroauto und sicher ein, zwei Kinder. So weit der grobe Plan.

An diesem Tag, an dem sie die Laborleiterstelle ablehnte, wurden ihre Videos auf YouTube nur 681-mal aufgerufen. Nguyen-Kim war zwar schon Teil des neuen Jugendnetzwerks funk von ARD und ZDF, krebste aber bei unter 10.000 Abonnenten herum. Nach Maßstäben des Mediengeschäfts war sie ein Niemand. Aber irgendetwas lag da in der Luft. Kellyanne Conway, Beraterin von Donald Trump, hatte gerade den Begriff
alternative facts
erfunden. Als seien Fakten Ansichtssache, je nachdem, wie es gerade passt. Im Leben von Nguyen-Kim hingegen kommen Fakten gleich nach Freunden und Familie.

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