/Künstliche Befruchtung: “Die Regeln sind patientenfeindlich”

Künstliche Befruchtung: “Die Regeln sind patientenfeindlich”

DIE ZEIT:
Herr Taupitz, Ihr Gutachten liest sich wie ein Ruf nach Freiheit. Als wären Ärzte und
Patienten Gefangene einer rückständigen Politik. Ist das nicht übertrieben?

Jochen Taupitz:
Das ist kein Ruf nach Freiheit, sondern nach Vernunft. Wir möchten mit unserer
Stellungnahme erreichen, dass deutsche Paare endlich auf dem Stand des aktuellen
medizinischen Wissens behandelt werden dürfen. Dass dies seit vielen Jahren nicht möglich
ist und die Politik daran nichts ändert, ist im Grunde ein Skandal.

ZEIT:
Scharfe Worte auf einem sensiblen Feld.

Taupitz:
Das geltende Embryonenschutzgesetz stammt aus dem Jahr 1990, der Anfangszeit der
Fortpflanzungsmedizin. Eigentlich war es schon wenig später überholungsbedürftig. Dennoch
gilt es weitgehend unverändert bis heute – mit negativen Folgen für die betroffenen Paare
und deren Kinder. Viele Praktiken sind verboten oder stark eingeschränkt aufgrund von
Befürchtungen, die sich mittlerweile als haltlos erwiesen haben. Zugleich ist die heutige
Rechtslage diskriminierend, weil sie Männer und Frauen unterschiedlich behandelt, ebenso wie
verheiratete Paare und unverheiratete Paare, heterosexuelle und gleichgeschlechtliche. Ich
kenne kein anderes Feld, auf dem sich das Recht so gegen die wissenschaftliche und
gesellschaftliche Realität sperrt
.

ZEIT:
Das Embryonenschutzgesetz möchte, wie der Name sagt, werdendes Leben schützen. Was ist
daran denn falsch?

Taupitz:
Grundsätzlich nichts. Problematisch ist, wenn für dieses Ziel die Gesundheit von Frauen und
Kindern aufs Spiel gesetzt wird.

ZEIT:
Inwiefern ist das der Fall?

Taupitz:
In Deutschland ist es verboten, geplant eine größere Zahl von Embryonen herzustellen und
danach zu schauen, wie gut sie sich entwickeln. Vielmehr darf der Arzt nur so viele
Embryonen herstellen, wie innerhalb eines Zyklus auf die Frau übertragen werden sollen. Um
eine möglichst hohe Schwangerschaftsrate zu erreichen, entscheiden Ärzte wie Patientinnen
sich meist dafür, zwei oder sogar drei Embryonen einzusetzen. Die Folge: Kaum ein anderes
Land hat eine so hohe Rate an Zwillings- oder Drillingsgeburten nach künstlicher Befruchtung
wie Deutschland.

ZEIT:
Was per se gefährlich ist?

Taupitz:
Mehrlinge kommen im Schnitt früher zur Welt, wiegen weniger, tragen häufiger Geburtsschäden
davon. Kommt es – in seltenen Fällen – zu einer Schwangerschaft mit Vier- oder Fünflingen,
entscheiden sich Ärzte mitunter für einen Fetozid: Sie töten einen oder mehr Föten im
Mutterleib, um den anderen eine größere Lebenschance zu geben. Für die Frauen ist das
traumatisch. Und schon eine Zwillingsgeburt erhöht bei der Frau die Gefahr von Bluthochdruck
oder einer Depression nach der Geburt um ein Vielfaches.

ZEIT:
Was wäre der bessere Weg?

Taupitz:
Wie bei einer natürlichen Schwangerschaft nur einen Embryo zu übertragen. International ist
das die Methode der Wahl.

ZEIT:
Ist die Erfolgsrate dann nicht niedriger?

Taupitz:
Im Gegenteil, sie ist ähnlich hoch, oft sogar höher. Denn im Ausland ist es erlaubt,
gezielt aus mehreren Embryonen denjenigen auszuwählen, der die besten Entwicklungschancen
hat.

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