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Deutscher Schulpreis: Hier geschehen Wunder

Nichts deutet hier auf einen Gewinner hin. Auf Fortschrittlichkeit,
Experimentierfreude. Hier, auf dem asphaltierten Schulhof der Gebrüder-Grimm-Grundschule in
Hamm, Westfalen, stehen drei Bauminseln, zwei Fußballtore, ein farbloses Spielhaus, alles
renovierungsbedürftig. Außerhalb der Schule: eine Zeche, die seit fast 30 Jahren dicht ist. Im
Industriepark dienen die Fördertürme nur noch der Erinnerung. Die Arbeitslosigkeit ist
überdurchschnittlich hoch, mehr als ein Drittel der Bewohner hat hier einen
Migrationshintergrund.

“Brennpunktschule”, sagt der Schulleiter Frank Wagner ohne Umschweife. “Als ich vor zwölf Jahren hier ankam, ging es über Tische und Bänke.” Er erinnert sich an einen Jungen, der mit einer Pistole in der Tür stand und Lehrer wie Schüler mit Plastikkugeln abschoss. Ein anderer warf im Klassenzimmer mit Stühlen. “Es gab Situationen, in denen mussten wir die Kinder mit der Polizei aus der Schule holen.” Der 48-Jährige will nicht dramatisieren, nur beschreiben, wie schwer es viele seiner 225 Schüler zu Hause haben: “Das sind ja alles Verzweiflungstaten.”

Ein Kollegium könnte sich angesichts solcher Zustände in seinem Lehrerzimmer verschanzen, aufgeben, mutlos werden. An der Gebrüder-Grimm-Schule ist das Gegenteil der Fall: Im Flur stehen alle Türen offen, auch die zum Leitungsbüro. Weil es an Räumen fehlt, finden manche Kurse sogar im Lehrerzimmer statt.

Einen Platz zum Feiern brauchen sie jetzt auch: In dieser Woche wird die Schule mit dem mit 100.000 Euro dotierten Deutschen Schulpreis ausgezeichnet. Die Jury spricht von einem “Lern- und Erfahrungsraum mit Wohlfühlaspekt”, in dem die Kinder “ihre Basiskompetenzen entwickeln und ihre Talente entdecken und entfalten können”.

Wie machen die das? Das werden sich jetzt viele Grundschulen in Deutschland fragen, die mit Lehrermangel, sinkenden Schülerleistungen und wenig unterstützenden Elternhäusern zu kämpfen haben.

In diesem Jahr feiern die Grundschulen in Deutschland Jubiläum. Hundert Jahre werden sie alt. 1919 war es, als die allgemeine Schulpflicht in der Weimarer Verfassung verankert wurde. Bis dahin hatte es nur eine Unterrichtspflicht gegeben, weshalb wohlhabende Familien ihre Kinder zu Hause unterrichten konnten. Von nun an aber trafen sich in der Schule auch Kinder, die sonst keinen Kontakt zueinander hatten. Die Grundschule wurde zur ersten Schule für alle. “Die Lehrer mussten lernen, mit der Heterogenität der Erfahrungen und der sozialen Herkünfte umzugehen”, sagt der Bildungshistoriker Heinz-Elmar Tenorth. “Das ist eine didaktische Leistung, die die Grundschule auch heute noch erbringt.”

Eine Leistung, die den Pädagogen alles abverlangt und nicht wenige an den Rand der Überforderung treibt. Wenn Kinder heute eingeschult werden, dann können die einen schon lesen und schreiben – während die anderen nicht mal wissen, wie sie einen Stift halten sollen.

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