/Bezirkswahl: Wie die Grünen in Hamburg zur Volkspartei wurden

Bezirkswahl: Wie die Grünen in Hamburg zur Volkspartei wurden

Inzwischen sehen zwei bundesweite Umfragen die Grünen
ungefähr auf gleicher Höhe mit den Unionsparteien. Da ist der überraschende
Erfolg der Ökos im Stadtstaat Hamburg vom vorvergangenen Wochenende bei der
Europawahl und der Wahl für die Bezirksparlamente schon fast wieder vergessen.
Es lohnt aber, das Hamburger Ergebnis genauer zu betrachten, wenn man verstehen
möchte, was da gerade geschieht. Wie kann es sein, dass eine Partei, die
jahrzehntelang in einer Nische von allenfalls mal zehn Prozent ihr Dasein
fristete, binnen weniger Monate zur neuen politischen Großmacht aufstieg?

Die wichtigsten Ursachen liegen auf der Hand, sie haben mit
Hamburg wenig zu tun. Das anhaltende Wachstum der vergangenen zehn Jahre hat
Sorgen um Wirtschaft und Wohlstand in den Hintergrund treten lassen, der heiße
Sommer 2018 und der Protest einer umweltpolitisch bewegten Generation von
Schülern verschafft dem grünen Thema Klimaschutz Aufmerksamkeit. Dazu kommen
das Elend der Berliner GroKo und die seit vielen Jahren fortschreitende
Auflösung alter Parteibindungen, die Wählerbewegungen stärker ausfallen lässt
als früher.

Und natürlich ging es bei den letzten Wahlen nicht um viel:
Das Europaparlament liegt für die meisten fern, die Arbeit in den Bezirken des
Stadtstaats findet für viele Wähler unterhalb ihrer Wahrnehmungsschwelle statt
– eine gute Gelegenheit, beim Ankreuzen auf dem Wahlzettel momentanen
Stimmungen zu folgen.

Dennoch ist dieses Resultat eine Zäsur: Die Grünen haben
Millieugrenzen überschritten, die bis vor Kurzem als nahezu unüberwindlich
galten. Dass grüne Politiker den Begriff der neuen Volkspartei noch
zurückweisen, hat weniger mit der Wirklichkeit als mit vorsichtigem
Erwartungsmanagement zu tun. Tatsächlich sind die Grünen es nun.

Nienstedten ist in Hamburg der Stadtteil mit den teuersten
Villen am Elbufer, die Sozialdemokraten haben hier nicht viel zu melden. Aber
diesmal lag die CDU hier nur ganz knapp vor den Grünen. Auf der anderen Seite
stehen vergleichsweise arme, migrantisch geprägte Stadtteile wie Steilshoop,
Horn, Wilhelmsburg, Lurup und Dulsberg. Traditionell ist in diesen Stadtteilen
die SPD stark, die meisten gewann sie auch diesmal. Aber überall sind die
Grünen nun eine ernstzunehmende Konkurrenz, und hie und da liegen sie sogar vor
den Sozialdemokraten. Bislang waren vor allem proletarische Milieus für die
Ökos nahezu unerreichbar, diese Grenze ist gefallen. Die letzten ländlichen
Ortsteile am Rand des Stadtstaats wählen traditionell konservativ, auch diesmal
– aber auf Platz zwei stehen nun in Altengamme und Ochsenwerder die Grünen.
Dazu kommen die wohlhabenden Gegenden der Innenstadt, die eindeutig grünes
Revier sind. Wenn es in Hamburg, dieser sozial zerklüfteten und räumlich
segregierten Großstadt, heute eine Volkspartei gibt, dann sind es ausweislich
dieses Wahlergebnisses am ehesten die Grünen.

Natürlich ist dies eine Momentaufnahme, womöglich genügt
eine mittlere Rezession, den Höhenflug der Ökos zu beenden. Festzuhalten aber
bleibt: Im wohlhabenden westdeutschen Stadtstaat Hamburg ist der Anteil der
Bürger, aus deren Sicht die Grünen komplett unwählbar sind, zuletzt dramatisch
geschrumpft.

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