/“Tatort” Wien: Prostata-Routineuntersuchung

“Tatort” Wien: Prostata-Routineuntersuchung

Es sorgt für einige Irritation, dass der Wiener Tatort: Glück allein (ORF-Redaktion: Bernhard Natschläger, Andrea Zulehner) auf den ersten Blick
ausschaut, als habe er vom legendären Ibiza-Video schon früher gewusst als Jan Böhmermann. Es gibt einen Tiroler Politiker namens Ladurner, der öffentlich als
großer Saubermann gilt, sich privat aber eher als Oarschloch herausstellt.
Zugleich ist er dicke mit dem aktuellen Innenminister, der hier Schennach (Emil De Cillia) heißt. Osteuropäische Geschäfte mit Betonung auf
“Legalität” werden repräsentiert von einer Frau Petrenko (Dorka Gryllus), die nicht aus Russ- oder Lettland stammt, sondern aus der Ukraine,
dafür aber auch keinen Übersetzer braucht.


"Tatort" Wien: Matthias Dell schreibt seit 2010 wöchentlich über "Tatort" und "Polizeiruf 110". Auf ZEIT ONLINE seit 2016 in der Kolumne "Der Obduktionsbericht".

Matthias Dell schreibt seit 2010 wöchentlich über “Tatort” und “Polizeiruf 110”. Auf ZEIT ONLINE seit 2016 in der Kolumne “Der Obduktionsbericht”.
© Daniel Seiffert

Auf den zweiten Blick geht sich die Analogie zwischen
jüngster Realität und dem im März letzten Jahres gedrehten Film freilich nicht
aus. Man kann den Wiener Tatort (Drehbuch: Uli Brée, Regie: Catalina Molina) aber
dennoch als Versuch begreifen, über die veränderten Verhältnisse in der
österreichischen Politik in Zeiten von Sebastian Kurz zu handeln – wenn auch
nicht so anspielungsreich wie in der letzten Folge.

Und nicht so großräumig. Der Fall stellt sich im Laufe der
Zeit nämlich als recht mühsam heraus: Bei Ladurner werden Frau (tot) und
Tochter (angestochen, später tot) gefunden. Die Ermittlungen soll auf
Innenministers Weisung die Kollegin Soraperra (Gerti Drassl) übernehmen, die
mit Ladurner nicht nur ein Verhältnis hat, sondern von ihm schwanger ist.

Die Bibi (Adele Neuhauser) und der Eisner (Harald Krassnitzer) agieren in der ersten Hälfte daher hinter den Spitzen, derweil der
Fredo Schimpf (Thomas Stipsits) zu Beginn noch unentschieden ist, auch weil er
die Frau Soraperra im Rahmen seiner Möglichkeiten beflirtet. Als Täter wird ein Zeitgenosse namens Kuptschyk (Dieter Egermann) präsentiert, der sich, als Raubmörder deklariert, praktischerweise
irgendwann in seiner Zelle erhängt haben soll. Wäre er der Mörder gewesen,
hätte sich der Fall erledigt.

Hat er aber nicht. Leider rennen die Ermittlerinnen, die den
Lügen und Finten in Glück allein
nachspüren müssen, zumeist vor die Wand, die in Form der Ladurner-Figur in
diesem Film rumsteht. Gespielt wird sie von Cornelius Obonya, der sein Großschauspielertum
hier erstens eh nicht in den Dienst eines tatsächlich nur guten Charakters
stellen würde. Und der zweitens aber von Beginn an viel zu unsympathisch und
verschlagen wirkt, als dass nur ein Zuschauer auf die Idee kommen könnte, er
habe es mit dem versprochenen Saubermann zu tun.

Das liegt auch daran, dass es eben immer nur um den privaten Ladurner geht in diesem Film,
obwohl man ihn auch mal von außen hätte zeigen können, wie er Bürgerinnen oder Medien beeindruckt. Oder
andeuten könnte, bei welchen Machenschaften der Politiker die Businessfrau
Petrenko am Wickel haben will, die hier allein mit dem Label
“ukrainisch” als verdächtig deklariert wird. Der Tatort will hinaus ins Große, Korrupte der politisch-medialen
Sphäre, aber dafür ist er zu faul, weil er glaubt, alles vom Schreibtisch aus
erledigen zu können – im Sandkasten irgendwelcher halb privaten Konfrontationen.

Und wenn sich Ladurner am Ende als psychotische Figur
erweist, die krankhaft zwischen Nettigkeit und Bösartigkeit pendelt, dann ist
das eine laue Erklärung für all die Geschichten, die man ihm hätte vorher
glauben sollen – etwa, dass er die eigene minderjährige Tochter drogenabhängig
gemacht hat.

Es ist also gar nicht so leicht, ausreichend Interesse
aufzubringen, um der dann auch ziemlich depperten Lösung entgegenzugähnen.
(Wenn ich das richtig verstanden habe: Es gab wohl einen Einbruch, der aber mit den Toten nichts zu tun hatte. Die gehen aufs Konto der Tochter, die unter Drogen auf die Mutter lossticht, um im blitzwendenden Moment der Erkenntnis über die Monstrosität dessen, was sie gerade getan hat (Mama gekillt), sich selbst so arg zu verletzen, dass sie wenig später nichts mehr aussagen kann über den bösen Papa.)

Was dieser Tatort
will, ist das spuckefädentreibende Anschrei-Endgame zwischen Ladurner und Frau
Soraperra. Kann man für riesige, ganz tiefe Schauspielkunst halten, wie sich da
nicht geschont, vielmehr: totalverausgabt wird. Ist aber fad, weil der Weg
dahin so abtörnend beschrieben wird.

Dabei gibt es in Wien doch die Bibi, den Eisner, das Ernstl
(Hubert Kramar) und den Fredo, die als Figuren so schön konturiert und gespielt
sind, die Witz haben (wie die Bibi, die die vom ignoranten Eisner falsch
ausgesprochenen nicht österreichischen Namen korrigiert) und reden können. Das
macht aus Glück allein mehr, als die
Handlung zur Verfügung stellt. Aber schade ist es auch.

Lieber Leserinnen und Leser, Am 16. Juni geht mit dem Luzerner “Tatort: Ausgezählt” eine erstaunliche hochstehende ARD-Sonntagabendkrimi-Saison zu Ende. Deshalb soll das eigentliche Saisonfinale in diesem Jahr aus einem Rückblick bestehen: ZEIT ONLINE-Kritiker Matthias lässt die Spielzeit 2018/19 mit zwei Kommentatorinnen und Kommentatoren aus der Community Revue passieren – das Gespräch wird danach auf ZEIT ONLINE abgebildet. Dafür können Sie sich bewerben: Schicken Sie Antwort auf folgende Fragen: 1. Was waren Ihre drei liebsten Folgen dieser Saison? 2. Was waren die drei größten Enttäuschungen? 3. Und warum lässt  ich über den ARD-Sonntagabendkrimi so gut streiten? Das Gespräch soll am Pfingsmontag, 10. Juni, zur Mittagszeit in Berlin stattfinden. Anreise mit der Bahn wird bezahlt. Die Auswahl trifft die Redaktion. Schreiben Sie an: community-redaktion@zeit.de

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