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Freikarten-Affäre: Stones-Tickets: Was man weiß, und was man noch nicht weiß

Vor Kurzem durchsuchte
die Hamburger Staatsanwaltschaft das Bezirksamt Nord, es war bereits das zweite
Mal. Das erste Mal kamen die Ermittler an einem Mittwoch im November 2017. Da
war es gerade zwei Monate her, dass die Rolling Stones im Stadtpark gespielt hatten. Das Bezirksamt hatte das Konzert genehmigt und Freikarten
angenommen. Im November lautete der Verdacht: Es könnte Gegenleistungen gegeben haben.

Mitte Mai kamen die Ermittler erneut, ebenfalls an einem Mittwoch. Es war der Beginn eines
neuen Kapitels in der sogenannten Freikarten-Affäre, die seit anderthalb Jahren die Stadt beschäftigt. Denn hinter der zweiten Durchsuchung steckte ein weiterer Verdacht.
Auch bei anderen Konzerten könnte es Freikarten für Beamte gegeben haben,
womöglich waren die Stones kein Einzelfall.

Dieser Verdacht
bestätigte sich nun. Das Bezirksamt Nord veröffentlichte in dieser Woche
zahlreiche Mietverträge für die Alsterdorfer Sporthalle auf dem Hamburger
Transparenzportal. Daraus geht hervor: Das Bezirksamt erhielt für Veranstaltungen
in der Sporthalle regelmäßig Freikarten.

Was ist darüber
hinaus klar, was wird nur vermutet? Gegen wen wird ermittelt, wer wurde angeklagt? Wie
geht es weiter? Und wo genau liegt eigentlich das Problem? Die Fragen und
Antworten im Überblick:

Was klar ist

Unstrittig ist: Es gab Freikarten für Beamte des Bezirksamts Nord, und das
nicht nur für das Rolling-Stones-Konzert im Stadtpark, sondern auch für Veranstaltungen in der
Alsterdorfer Sporthalle. Die nun veröffentlichten Mietverträge enthalten als Anhang
die “Allgemeinen Vertragsbedingungen für gewerbliche Veranstaltungen in der
Sporthalle Hamburg”. Dort hieß es in der Vergangenheit unter Punkt 6.4: “Der
Mieter hat spätestens zwei Wochen vor der Veranstaltung dem Vermieter 30
Eintrittskarten unentgeltlich zu überlassen.” Dem Bezirksamt Nord zufolge
gelangte dieser Passus bereits Anfang der Achtzigerjahre in die AGB und war bis
Ende 2017 fester Bestandteil.

Im Fall der
Stones ist es etwas komplizierter. Für das Konzert im Stadtpark am 9. September
2017 erhielt das Bezirksamt nicht 30, sondern 100 Freikarten, dazu noch 300
Vorzugskarten. Das betrachtet die Staatsanwaltschaft als gesichert. Die Karten
wurden demnach an “Freunde des Hauses” verteilt, darunter Behördenmitarbeiter
und Bezirksabgeordnete, aber auch Staatsräte. Laut Staatsanwaltschaft ist es
“hinreichend sicher”, dass die Verteilung über Harald Rösler lief, den
damaligen SPD-Bezirksamtsleiter.

Laut einer Absichtserklärung
aus dem Mai 2017, die ebenfalls auf dem Hamburger Transparenzportal zu finden
ist, vereinbarten das Bezirksamt Nord und der Veranstalter FKP Scorpio zunächst
allerdings 300 Frei- und 300 Vorzugskarten für die Behörde. Die in der
Erklärung vereinbarte Nutzungsgebühr für die Konzertfläche im Stadtpark betrug
200.000 bis 250.000 Euro, je nach Anzahl der verkauften Tickets.

Tatsächlich
zahlte der Veranstalter am Ende 5.000 Euro mehr, wie aus dem ebenfalls
veröffentlichten Vertrag hervorgeht. Gleichzeitig gab er 200 Freikarten weniger
heraus, von denen im Vertrag allerdings keine Rede mehr ist. Hingen Gebühr und
Freikarten zusammen? Hier beginnen die Fragen.

Was unklar ist

Viel. Eine der
zentralen Fragen ist, ob das Bezirksamt die Freikarten für die Stones bloß
annahm oder sie einforderte – und ob es Gegenleistungen erbrachte,
beispielsweise einen Rabatt bei der Gebühr. Diesen Verdacht hegt die
Staatsanwaltschaft. Rösler und Folkert Koopmans, der Chef des
Konzertveranstalters FKP Scorpio, sollen die Eckpunkte der Genehmigung demnach
persönlich verhandelt haben. Sicher aber ist das nicht. Wie alle Beschuldigten
haben auch Rösler und Koopmans bislang auf laufende Ermittlungen verwiesen und
sich nicht öffentlich geäußert. Sollte sich der Verdacht der Staatsanwaltschaft jedoch bestätigen und die Nutzungsgebühr als Gegenleistung für die Freikarten gesenkt worden sein, wäre die Affäre noch
brisanter. Dann wären öffentliche Einnahmen für persönliche
Vorteile geopfert worden.

Ebenfalls unklar
ist, ob die Nutzungsgebühr drastisch niedriger ausgefallen ist als üblich. Wie
mehrere Medien berichteten, hätte die Gebührenordnung fast bis zu einer Million
Euro Miete erlaubt. Das Bezirksamt berechnete nur etwa ein Viertel. Was es damit auf
sich habe, sei Gegenstand der Ermittlungen, sagte eine Sprecherin der
Staatsanwaltschaft.

Auch rund um die
Freikarten für die Alsterdorfer Sporthalle gibt es mehr Fragen als Antworten.
Ob das Bezirksamt die vertraglich zugesagten 30 Gratistickets immer in Anspruch
nahm, was mit den Karten passierte, ob die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Konzerte zum
Vergnügen besuchten oder aus dienstlichen Gründen – das alles ist unklar. Das
Bezirksamt Nord äußerte sich nicht zu “Details der tatsächlichen Praxis in der
Vergangenheit”, da diese Gegenstand laufender Ermittlungen seien. Die
Staatsanwaltschaft prüft nach eigenen Angaben, ob Korruptionsrichtlinien verletzt
wurden. Eine Sprecherin sagte, es handle sich bislang nur um einen
Anfangsverdacht.

Wo genau das Problem liegt

Amtsträger, also
auch Beamtinnen und Beamte, dürfen nach dem Strafgesetzbuch niemals einen Vorteil einfordern.
Einen Vorteil annehmen dürfen sie nur mit Genehmigung der zuständigen Behörde.

Wie Hamburg bei
solchen Genehmigungen verfährt, steht in der “Bekanntmachung über die Annahme
von Belohnungen und Geschenken”. Geschenke sind demnach verboten, es gibt
Ausnahmen, aber die Regeln sind streng. Wer als Beamter ein Geschenk annehme,
gefährde das Vertrauen der Allgemeinheit in seine Zuverlässigkeit, setze das
Ansehen des gesamten öffentlichen Dienstes herab und erwecke den Verdacht, “für
Amtshandlungen allgemein käuflich zu sein”.

Beamtinnen und Beamte dürfen sich
daher höchstens zum Essen einladen lassen, und auch das nur, wenn die Kosten nicht
“außer Verhältnis zu dem durchschnittlichen Einkommen im öffentlichen Dienst”
stehen. Alles darüber hinaus muss ein Vorgesetzter genehmigen. Konzerttickets
im Wert von mehreren hundert Euro? “Das unbestimmte Rechtsgefühl sagt jedem
Verwaltungsbeamten, dass das zu viel ist”, sagte ein erfahrener Spitzenbeamter bereits
im vergangenen Herbst der ZEIT.

Für die
Bezirksabgeordneten gelten weniger strenge Regeln. Die reine Vorteilsannahme
ist für Mandatsträger straffrei. Um sich strafbar zu machen, müssen sie ein
Geschenk nicht nur annehmen, sondern im Gegenzug auch ihr Mandat für fremde
Interessen missbrauchen. Erst dann wäre ein Straftatbestand erfüllt: Bestechlichkeit.

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