/Brigitte Bierlein: Frau ohne Drama

Brigitte Bierlein: Frau ohne Drama

Brigitte Bierlein sei die perfekte Kanzlerin, twitterte ein Österreicher: “Die SPÖ-Wähler sind zufrieden,
weil sie eine Frau ist. Die Die Neos und ÖVP-Wähler sind zufrieden, weil sie konservativ
ist. Grüne und Jetzt-Wähler sind zufrieden, weil sie kompetent ist.  FPÖ-Wähler
sind zufrieden, weil Bier vorkommt”. So humoristisch verzerrt
war die Reaktion auf die Ankündigung von
Bundespräsidenten Alexander van der Bellen, Bierlein demnächst als
erste Bundeskanzlerin Österreichs zu bestellen
. Als Chefin einer
Übergangsregierung allerdings.

Die Reaktion auf die Berufung der bisherigen Präsidentin
des Verfassungsgerichtshofs fiel generell positiv aus, nicht nur im Netz. Die
Chefs aller Parlamentsparteien lobten die Entscheidung des Bundespräsidenten.
Mussten sie auch, denn ohne ihre Zustimmung und in der Folge Unterstützung wäre
sie nicht möglich gewesen. Brigitte Bierlein, 69, muss sich auf die Akzeptanz
des Parlaments verlassen können.

Niemand nannte sie “Trümmerfrau”, also jemanden, der das politische
Chaos, das vornehmlich Männer verursacht haben, in den nächsten Monate zu
bewältigen haben wird. Davon, also von der per Misstrauensvotum gestürzten
Regierung aus ÖVP und FPÖ, spricht man im Moment nicht.

Ob Bierlein der Hinweis, sie habe ihr Leben dem Beruf
gewidmet, verletzt hat, wird man ihr nicht ansehen. Bei keinem Mann wäre  durchgeklungen, dass er keine Familie, keine
Kinder hat. So wie 2003 keine Reaktion auf die Unterstellung eines bekannten
Juristenkollegen, sie habe die Funktion als Vizepräsidentin nur den Einfluss
ihres Lebensgefährten zu verdanken, bekannt ist.

Welcher Mann muss sich damit auseinandersetzen?

Ein solcher Vergleich wird auch in nächster Zeit oft in den
Sinn kommen, wenn sich – was prompt geschehen ist – die Aufmerksamkeit ihrem
Äußeren zuwendet – ihrer modischen Kleidung, ihrem auffallenden Schmuck, sogar
ihrer ungewöhnlichen Frisur in vergangenen Jahren, kunstvoll hochgesteckt
manchmal, ein Blickfang allemal. Welcher Mann in den Gefilden der hohen Justiz
oder jetzt der Politik muss sich je damit auseinandersetzen? Eher geärgert
dürfte sie die unterschiedliche Behandlung im Beruf haben. Bei ihrer Berufung als
Richterin in den Verfassungsgerichtshof hieß es, sie sei ja “nur”
Strafrechtsexpertin, nicht firm in Verfassungsfragen. Als der ehemalige
Justizminister Wolfgang Brandstetter, ein ausgewiesener Strafrechtsexperte,
direkt von der Regierungsbank auf die Bank der Verfassungsrichter wechselte,
wurde dies von niemandem thematisiert. Bierlein aber fand diesen nahtlosen
Wechsel “seltsam” – entgegen dem Willen der damaligen Regierung.

Und ließ damit erkennen, wie unabhängig sie ihre Funktion
auffasst, politische Berufung hin oder her. So hielt sie sich bei aller Distanziertheit
auch in den vergangenen Monaten nicht mit Kritik an bestimmten Entscheidungen
der Regierung zurück, obwohl sie als Staatsanwältin durchaus den Ruf einer
Vertreterin von Law and Order hatte: Die Verschärfungen im Asylbereicht, den
Plan der Regierung für eine präventive Sicherheitshaft für Asylwerber, die
angekündigte Verschärfung des Strafrechts bei Sexualdelikten, das alles kritisierte
sie öffentlich und medienwirksam. Sie ließ damit eine liberale Auffassung
erkennen, die bei der rechtspopulistischen Regierung von ÖVP und FPÖ sonst
nicht auszumachen war.

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