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SPD-Chefin: Keine Mehrheit für Andrea Nahles bei Probeabstimmungen

SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles hat laut einem Medienbericht bei Probeabstimmungen in den drei wichtigsten Gruppen der Bundestagsfraktion keine Mehrheit bekommen. Wie die Zeitungen der VRM-Gruppe, zum Beispiel die Mainzer Allgemeine Zeitung, unter Berufung auf Parteikreise berichten, habe es am Mittwoch sowohl im konservativen Seeheimer Kreis als auch bei den “Netzwerkern” und den Parteilinken “nicht annähernd eine Mehrheit für Nahles gegeben”.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Niels Annen dementierte eine gleichlautende Meldung von n-tv auf Twitter: “Das stimmt nicht. Bei uns gab es keine Probeabstimmung.” Annen wird zur Gruppe der Parlamentarischen Linken gerechnet.

Die Zeitungen der VRM-Gruppe berichten weiterhin, dass Nahles, wenn sie ohne Gegenkandidaten ein sehr schwaches Ergebnis erhalte, wohl nicht länger als Fraktionsvorsitzende zu halten sei. Es sei wahrscheinlich, dass sich bis zur festgesetzten Frist am
Montag noch Konkurrenten um die Position des Fraktionsvorsitzes melden.

2017 bekam Nahles 90 Prozent der Stimmen

Nahles, die zuvor Arbeitsministerin gewesen war, hatte den Vorsitz der SPD-Bundestagsfraktion im September 2017 übernommen; in der Wahl hatte sie 137 von 152 Stimmen bekommen. Nur 14 Abgeordnete stimmten damals gegen Nahles, es gab eine Enthaltung. Das entsprach einer Zustimmung von 90 Prozent.

Am Dienstag soll die oder der SPD-Fraktionsvorsitzende neu gewählt werden. Angesichts von Spekulationen um ihre Parteiführung nach den sehr schlechten Ergebnissen der Sozialdemokraten bei der Wahl des Europaparlaments, bei Kommunalwahlen und der Bürgerschaftswahl in Bremen hatte Nahles angekündigt, die ursprünglich für September geplante  Neuwahl des Fraktionsvorstands vorzuziehen.

Ihre Kritiker hatte sie dazu aufgefordert, zur Klärung der Machtfrage gegen sie anzutreten. Der Fraktionsvorstand hatte daraufhin beschlossen, die Neuwahl bereits in der nächsten Woche abzuhalten. Allerdings hat bisher niemand eine Gegenkandidatur angekündigt. Neben Ex-Parteichef Martin Schulz hatte auch der Parteilinke Matthias Miersch
mitgeteilt, dass er nicht antreten werde.

Ohne Fraktionsvorsitz kein Machthebel?

Im Falle einer Niederlage würde Andrea Nahles wahrscheinlich auch als SPD-Vorsitzende zurücktreten. Das meldet die Bild-Zeitung unter Berufung auf Vertraute von Nahles. Beide Ämter seien eindeutig miteinander verbunden. Als Parteichefin habe sie ohne den Vorsitz in der Fraktion “keinen Machthebel, kann nichts bewirken”. Mehrere Teilnehmer der Fraktionssitzung am Mittwoch hatten sich entsprechend geäußert, ebenso Nahles selbst in kleinerer Runde.

Im Dezember steht nach bisherigem Plan auch für den SPD-Vorsitz eine Neuwahl an – auf dem gleichen Parteitag will die SPD voraussichtlich die wichtige Halbzeitbilanz der großen Koalition ziehen. Nach Informationen der VRM-Zeitungen gibt es allerdings Überlegungen, den im Dezember geplanten Bundesparteitag vorzuziehen und noch vor den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg, die am 1. September stattfinden, abzuhalten.

“Sie darf die SPD nicht in Geiselhaft nehmen”

Fraktionsvize Karl Lauterbach signalisierte Unterstützung für Nahles’ Vorstoß: “Es ist richtig, dass Andrea Nahles jetzt die Machtfrage stellt. Denn so geht es nicht weiter.” Lauterbach warf Nahles’ Kritikern Feigheit vor: “Bis zum jetzigen Zeitpunkt gibt es viele, die auch im Hintergrund mit der Presse sagen, Andrea Nahles sei nicht die richtige Fraktionsvorsitzende, gleichzeitig ist aber auch niemand bereit zu kandidieren.”

Der SPD-Abgeordnete Florian Post legte Nahles hingegen den Rücktritt nahe. Nach dem schlechten Abschneiden bei der Europawahl “müsste man einsehen, ob man selbst die geeignete Person ist, in der Öffentlichkeit bestimmte Themen zu vertreten”, sagte Post den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland. “Nur weil es Andreas Kindheitstraum war, Führungspositionen in der SPD zu besetzen, darf sie jetzt nicht die ganze Partei in Geiselhaft nehmen.” Er rechne fest damit, dass es eine Gegenkandidatur geben werde.

Rückendeckung erhielt Nahles von Carsten Schneider, dem Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Fraktion. Er habe im Vorfeld von Nahles’ Vorstoß gewusst und sie dabei unterstützt, sagte er im ARD-Morgenmagazin: “Ich kann diejenigen nur auffordern, die in eine andere Richtung wollen, sich auch zu stellen. Entweder Mut haben, selber in den Ring steigen oder Klappe halten.”

Existentielle Krise und hochkritische Phase

Juso-Chef Kevin Kühnert kritisierte, dass sich mit “irgendwelchen schnell mal dahin gehauchten Personalwechseln” nichts zum Besseren wende. Es sei natürlich leichter, “über den Austausch von Köpfen zu sprechen als über tiefgreifende Ursachen dahinter”, sagte Kühnert dem TV-Sender Phoenix.

Ex-Parteichef Matthias Platzeck sagte der Passauer Neuen Presse, die SPD habe schon viele Wechsel an der Spitze der Partei gehabt. “Was wir jetzt erleben, ist das Ergebnis einer langen Entwicklung.” Besonnenheit sei nun gefragt, die Partei müsse sich auf ihre Kernwerte besinnen: “Wir waren immer der Seismograph für die Sorgen der Menschen. Die ändern sich, wir müssen dranbleiben.” Es handle sich um eine existenzielle Krise und “hochkritische Phase” der SPD.

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