/Arbeitszeiterfassung: “Das Problem ist nicht die Zeiterfassung, sondern der Personalmangel”

Arbeitszeiterfassung: “Das Problem ist nicht die Zeiterfassung, sondern der Personalmangel”

” Wenn wir keine Überstunden mehr machen sollen, müssen wir entlastet werden”

Lisa*, 25, arbeitet als Krankenschwester in einem Krankenhaus in München.

Seit drei Jahren arbeite ich auf der sogenannten Stroke-Unit, einer Intensivstation für Schlaganfallpatienten. Da meine Patienten schwer krank sind, werden ihre Werte dauerhaft am Monitor überwacht und auch ich muss sie sehr genau im Auge behalten. Wir sind chronisch unterbesetzt: Drei Krankenschwestern oder Pfleger müssen sich gleichzeitig um zwölf Patientinnen kümmern. Das ist eigentlich überhaupt nicht machbar und wir geraten regelmäßig in schwierige Situationen. Letztens war ich bei einem Patienten, dessen Blutdruck lebensbedrohlich anstieg. Ich musste schnell reagieren, rief den Arzt, bereitete die Medikamente vor und zog eine Spritze auf. Plötzlich sah ich, dass ein anderer meiner Patienten verwirrt über den Flur lief. Eigentlich hätte ich ihn zurück ins Bett bringen müssen, in dem Moment war aber keine Zeit dafür.

Ich renne oft von Patient zu Patient, um meine Aufgaben irgendwie innerhalb meiner Schicht zu schaffen. Trotzdem gibt es immer wieder Dinge, die ich nicht schaffe, weil die Zeit zu knapp ist. Bei Patienten, die zum Beispiel ein bestimmtes Medikament erhalten, müsste ich alle 15 Minuten die Vitalzeichen überprüfen, also Blutdruck messen, Atmung überwachen, Bewusstsein überprüfen und Temperatur messen. Meine Kolleginnen und ich schaffen es aber nicht immer, diesen Zeitrahmen genau einzuhalten.

Um trotzdem bestmöglich für die Patientinnen da zu sein, arbeiten wir ständig mehr. Die halbe Stunde Mittagspause, die mir während meiner Schicht zusteht, habe ich noch nie gemacht. Hier macht niemand Pause. Dazu kommen die Überstunden, die jede Woche anfallen. Wenn ich während meiner Schicht nicht alle Aufgaben erledige, müssten meine Kollegen sie in der nächsten Schicht fertig machen. Und das möchte ich nicht. Ich möchte sie nicht enttäuschen und zusätzlich belasten. Schließlich weiß ich, wie viel zu tun ist.

Obwohl wir eine Stempelkarte haben, werden unsere Arbeitszeiten und die Überstunden nicht korrekt dokumentiert. Meine Überstunden bekomme ich nicht bezahlt. Selbst wenn die Arbeitszeiten durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs in Zukunft systematisch erfasst werden würden, glaube ich nicht, dass sich im Krankenhaus etwas ändern würde. Ich würde mit Sicherheit weiter Überstunden machen müssen. Das Problem ist ja nicht die mangelnde Aufzeichnung unserer Arbeitsstunden, sondern der Personalmangel. Wenn wir keine Überstunden mehr machen sollen, müssen wir entlastet werden.

*Name von der Redaktion geändert, da die Protagonistin berufliche Nachteile befürchtet.

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