/YouTube: Worüber spricht Annegret Kramp-Karrenbauer?

YouTube: Worüber spricht Annegret Kramp-Karrenbauer?

Witze sind
gemacht, Empörung ist da. Nun beginnt – Debattenzyklen sind berechenbar – die
Suche nach dem “wahren Kern” in Annegret Kramp-Karrenbauers Aussagen zum Anti-CDU-Video des YouTubers Rezo und zum Wahlaufruf von mehr als 70 YouTubern im Anschluss. Zur
Erinnerung: Während ihrer Nachwahl-Pressekonferenz am Montag sagte die CDU-Vorsitzende, sie habe
sich gefragt, “was wäre eigentlich in diesem Land los, wenn eine Reihe von,
sagen wir mal, 70 Zeitungsredaktionen zwei Tage vor der Wahl erklärt hätten: Wir
machen einen Aufruf, wählt bitte nicht CDU und SPD”. Später schrieb sie: “Wenn einflussreiche Journalisten oder YouTuber zum
Nichtwählen oder gar zur Zerstörung demokratischer Parteien der Mitte aufrufen,
ist das eine Frage der politischen Kultur.” Und in einem weiteren Tweet: “Worüber
wir aber sprechen müssen, sind Regeln, die im Wahlkampf gelten.” Dies führt zu
folgenden Fragen:

1. Was wäre eigentlich in diesem Land los?

Schwer zu
sagen, und es hinge wohl auch immer von der öffentlichen Stimmung, den jeweiligen
Themen und den beteiligten Medien ab. Würde aus dem Verlag Axel Springer heraus
unmittelbar vor einer Wahl eine Kampagne gegen die Grünen gestartet, hätte das
eine andere öffentliche Wirkung als eine explizite “AfD-Warnung” von – sagen
wir mal – 70 Regionalzeitungen. Sicher wäre, dass sich die beteiligten Medien
harsche Kritik gefallen lassen müssten, von anderen redaktionellen Medien, von YouTubern,
von den betroffenen Parteien. Sicher wäre aber auch, dass es besonders harsche Kritik an der
Vorsitzenden einer Regierungspartei gäbe, würde sie plötzlich
über Regulierungen, nein pardon: Regeln
für den demokratischen Diskurs vor
Wahlen raunen. 

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2. Hat Rezo wirklich zur “Zerstörung” der CDU aufgerufen?

Nein, er
hat sein Video Die Zerstörung der CDU genannt. Dadurch hat er zugleich
gesagt, was er in diesem Kontext mit “Zerstörung” meint: keinen Brandanschlag
auf das Konrad-Adenauer-Haus, sondern eine harsche inhaltliche
Auseinandersetzung, um der Partei erklärtermaßen politisch zu schaden. Im Fazitteil von Rezos Video (ab 51:35) ist der Gestus (flehentliches)
Bitten, kein Aufruf zur Gewalt. Die Wortwahl im Titel kann man dennoch
problematisch finden. Wer auch zukünftig glaubhaft ein “Wir werden sie jagen” rechtsradikaler Politiker verurteilen möchte, sollte hier vielleicht nicht
entschuldigend auf Internet- und Jugendsprache verweisen. Trotzdem: Kramp-Karrenbauer
zitiert falsch.

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3. Gibt es Regeln – im Pressekodex?

Vielleicht
fangen wir noch weiter vorn an, beim Grundgesetz, Artikel 5. “Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern
und zu verbreiten …” Hier steht erkennbar nichts davon, dass diese Rechte in
einer Schamfrist vor einer Wahl teildispensiert sind. Dementsprechend bestimmt
auch der Pressekodex lediglich, dass bezahlte Veröffentlichungen – und damit
auch Wahl- oder Parteienwerbung – klar erkennbar von redaktionellen Inhalten
abgegrenzt sein müssen. Das ändert nichts daran, dass es in vielen Redaktionen,
die sich als frei und unabhängig begreifen, darüber hinaus informelle Regeln
oder Hausregeln gibt. Manche Zeitungshäuser drucken überhaupt keine Anzeigen
von Parteien. Andere prüfen in einem bestimmten Zeitkorridor vor Wahlen auch besonders
genau, ob Mitteilungen oder Veranstaltungen von Wahlkämpfern wirklich einen
Informationswert haben und ergo redaktionell aufgegriffen werden sollten. Von
einer allgemeinen Ächtung für meinungsstarke Internetvideos ist aber nichts
bekannt.

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4. Gibt es Regeln – im Rundfunkstaatsvertrag?

Unter
anderem die FAZ hat zuletzt betont, dass Rezo kein Teenager im
Kinderzimmer ist, sondern
ein vernetzter, auch verbandelter Medienunternehmer
, für den am Ende
vielleicht auch der Rundfunkstaatsvertrag gelten sollte. Die Frage, inwieweit einzelne YouTuber diesem Vertrag unterliegen, ist in
der Tat strittig
. Der Rundfunkstaatsvertrag verbietet aber ohnehin nicht, eine Meinung kundzutun ­–
als Meinungsbeitrag kennzeichnet Rezo das Video mehrmals, nicht zuletzt
durch den Titel. Unabhängig davon kann gegen öffentliche Falschbehauptungen natürlich
juristisch vorgegangen werden, erst recht, wenn der Behauptende nicht als
anerkannter Pressevertreter unter besonderem Schutz steht. Vielleicht ist zukünftig also
auch eine schlichte Unterlassungserklärung das CDU-Mittel der Wahl gegen renitente Internetpersönlichkeiten – vorausgesetzt, sie findet den Fehler.

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5. Gibt es Regeln – für Werbung?

Auf jeden
Fall keine, die das Rezo-Video verbieten würden. Laut Influencer-Urteilen muss
zwar ein Beitrag als Werbung markiert werden, wenn Geld oder sonstige
Gegenleistungen für die Nennung eines Produkts darin geflossen sind. In diesem
Fall hat Rezo aber sogar die YouTube-eigene Werbung für das Video abgestellt. Nun ist natürlich
denkbar, dass eine Partei oder eine andere Organisation Rezo für das Video
bezahlt hat, der Beweis wäre aber erst einmal zu erbringen. Gleiches gilt, wollte
man aus mittelbaren geschäftlichen Verbindungen Rezos, etwa zum Medienkonzern Ströer,
ableiten, er unterliege
einer fremden Agenda
.

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6. Gibt es Regeln – im Promikodex?

Einen Kodex, der es prominenten Personen
aufgrund ihrer Meinungsmacht untersagt, zu bestimmten sensiblen Zeitpunkten
keine politische oder parteipolitische Meinung zu äußern, gibt es nicht. Zur Freude
der CDU
, die vor der Bundestagswahl 2017 zahlreiche Personen des öffentlichen Lebens für eine Parteikampagne gewinnen konnte.

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7. Was ist ein YouTuber?

Ein
YouTuber ist eine popkulturelle Figur, die nicht zwingend zwischen den
Rollen als Publizist, Werbetreibender und öffentlicher Person unterscheidet – und
vielleicht liegt genau hier das Problem. Der wahre Kern in Kramp-Karrenbauers
Aussage könnte sein, dass es zwar keine neuen Regeln,
aber eine völlig neue Medienkompetenz braucht, um das öffentliche Gebaren von
YouTubern einordnen zu können. Dazu gehört sicherlich ein Bewusstsein dafür,
dass die handgemachte Unmittelbarkeit, die deren Videos gemeinhin auszeichnet,
auch nur eine Form von Inszenierung ist und nichts darüber aussagt, ob die
Person vor der Stativkamera besonders echt, glaubwürdig und unkorrumpiert ist.
Darüber lässt sich nun an Schulen reden und in Zeitungen schreiben. Es ist eher
nichts, was auf die Nachwahl-Agenda einer CDU-Chefin gehört.

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