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Volksparteien: Das beste Ergebnis für Europa

Das Ergebnis dieser Europawahl ist womöglich das Beste, was Europa passieren
konnte. Die Bürgerinnen und Bürger haben den etablierten Parteien einen
Denkzettel verpasst. Sie haben signalisiert: Ein Weiter so ist für sie keine Option. Zugleich haben sie den Parteien
einen klaren Auftrag erteilt, Europa endlich ernst zu nehmen und seine Institutionen mit mehr Bedeutung und politischer Macht
auszustatten. Denn diese Europawahl war die erste seit langer Zeit, bei
denen vielen klar war, dass viele der wichtigsten Herausforderungen unserer
Zeit nur gemeinsam gelöst werden können, von einem starken, einigen Europa.

Die etablierten Parteien haben zum Teil große Verluste erlitten. Der
größte Verlierer ist die konservative Parteienfamilie EVP, gefolgt von den
Sozialdemokraten
. Zwar haben die rechtsextremen, europakritischen Parteien
zugelegt. Aber dieser Anstieg von 20 auf 25 Prozent ist moderat. Dagegen sind die
Grünen und die Liberalen die größten Gewinner: Sie konnten sich als dritte Kraft
etablieren. Dies bedeutet, dass die beiden großen Volksparteien nicht länger
die Posten und Politikentscheidungen unter sich ausmachen können, sondern dass
sie auf andere zugehen und sie mit guten Argumenten überzeugen müssen. Diese
neue Konstellation könnte zu mehr Rechenschaft und einer Veränderung der
Politik führen.

Das erfreulichste Signal der Europawahl ist, dass die Mehrheit der Wählerinnen und
Wähler ihrem Wunsch Ausdruck verliehen hat, Europa nicht zu schwächen, im Gegenteil: Viele Menschen wünschen sich ein Europa, das
mehr Verantwortung übernimmt und diese auch wirklich ernst nimmt und erfüllt.
Ihnen, vor allem den jüngeren Generationen, ist bewusst, dass die großen
Herausforderungen unserer Zeit nicht national, sondern nur gemeinsam in Europa
und global bewältigt werden können. Bewegungen wie Fridays for Future oder Pulse
of Europe machen Mut. Sie fordern in beeindruckender Art und Weise einen
Kurswechsel hin zu einem stärkeren, geeinten Europa.

Mut für Europa

Europa braucht einen Kurswechsel und keine Politik der
kleinen Schritte. Dazu sollte eine Europäische Kommission ins Amt kommen, die
mit Mut und neuen Visionen die Menschen Europas mitnimmt, und nicht lediglich
nationale Interessen bedient. Die Verantwortung zu ihrer Ernennung liegt bei den Staats- und Regierungschefs, die nicht wieder den Fehler machen dürfen, aus der Kommission den verlängerten Arm der
nationalen Regierungen in Brüssel machen zu wollen.

Die Kommission sollte eine handlungsfähige europäische Regierung sein, die
im Sinne Europas agiert. Dafür kommen für den Präsidentenposten neben dem
Spitzenkandidaten Manfred Weber eine Reihe von hervorragenden Kandidatinnen und
Kandidaten in Frage, wie Margrethe Vestager. Als Wettbewerbskommissarin schreckte
die Dänin nicht davor zurück, der deutschen und der französischen Regierung
Paroli zu bieten und den politisch motivierten Zusammenschluss von Siemens und
Alstom zu verbieten.

Konkrete Prioritäten sollten eine Stärkung öffentlicher Güter für Europa
sein – in der Bildungs-, Klima- und Energiepolitik, bei Migration und
Sicherheit. Europäische Institutionen müssen gestärkt werden, damit sich alle
nationale Regierungen beteiligen und Verantwortung übernehmen.

Eine gemeinsame Politik

Europa braucht auch eine stärker abgestimmte Wirtschaftspolitik, um im globalen
Systemwettbewerb mit den USA und China bestehen zu können. Hierzu gehört die
Vollendung der Währungsunion und des europäischen Binnenmarktes. Dieser sollte
um einen Kapitalmarktunion ergänzt werden. Sie würde nicht
nur zu einer besseren Verteilung, sondern vor allem zu einer Reduzierung der
noch enormen Finanzmarktrisiken in Europa führen. Das würde nicht nur den
schwächsten Ländern helfen, sondern auch den gesündesten, zum Beispiel Deutschland.
Auch nötig sind klügere Regeln, damit Regierungen Schulden abbauen und dadurch wieder
mehr finanziellen Spielraum für künftige Rezessionen und Krisen haben.

Und die Politik sollte einem sozialen Europa mehr Gewicht geben, damit sich
Bürgerinnen und Bürger in Zukunft stärker mit Europa identifizieren können. Zu viele Menschen sehen in ihrem täglichen Leben zu wenig, wieso Europa
für sie persönlich so wichtig ist. Europa muss Kooperation und Solidarität
von seinen Mitgliedsländern einfordern können, zugleich aber auch die
Menschen unterstützen und allen ein Sicherheitsnetz bieten. Nationale
Regierungen müssen hierbei unterstützt werden.

Die Europawahl ist ein Weckruf, und sie ist eine Chance auf einen
Neuanfang. Die nationalen Regierungen müssen nun den Mut haben, die EU gezielt
zu stärken und europäischen Institutionen in Kernbereichen mehr Kompetenzen zuzugestehen.
Nur so kann Europa an Legitimität gewinnen und den gemeinsamen
Herausforderungen gerecht werden.

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