/Uwe Tellkamp: Eine radikale Idylle?

Uwe Tellkamp: Eine radikale Idylle?

Im März 2018 fand in Dresden das große Streitgespräch statt zwischen den
Schriftstellern Durs Grünbein und Uwe Tellkamp
. Es ging um Meinungsfreiheit, um die Frage, ob
es so etwas wie Gesinnungskorridore, einen linken Mainstream also, gebe. Sollte der
Veranstaltung die Hoffnung zugrunde gelegen haben, dass zumindest zwei Schriftsteller, von
Berufs wegen Multiperspektivisten, einander fruchtbringend zuhören könnten, selbst wenn sie
die Welt grundsätzlich anders sehen, so hatte sie getrogen. Der Riss, der durch Deutschland
geht, geht auch mitten durch die Literaten-Welt. Am Ende dieses Abends meldete sich aus dem
Publikum der Verleger des rechtsradikalen Antaios-Verlags zu Wort und erklärte befriedigt (als
gingen alle seine strategischen Hoffnungen damit auf): Alles müsse auf den Tisch, und der Riss
müsse noch viel tiefer werden.

Seither ist Uwe Tellkamp kaum noch öffentlich aufgetreten. Doch jetzt kuratiert er in Dresden eine Veranstaltungsreihe über “70 Jahre DDR”. Am Eröffnungsabend trat er zusammen mit dem CDU-Politiker Arnold Vaatz im Kulturhaus Loschwitz auf, der Buchhandlung von Susanne Dagen, einem zentralen Kommunikationsort des Dresdner Bildungsbürgertums.

Bundesweit bekannt wurde Susanne Dagen mit der von ihr initiierten “Charta 2017”, die dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels – mit Blick auf den Umgang der Frankfurter Buchmesse mit rechten Verlagen – vorwarf, die Meinungsfreiheit auszuhöhlen. Zu den Unterzeichnern der Petition gehörten die Publizisten Cora Stephan und Matthias Matussek, aber eben auch Uwe Tellkamp.

Uwe Tellkamp: Susanne Dagen

Die Buchhändlerin Susanne Dagen
© Iona Dutz für DIE ZEIT

Seither durfte man sich fragen: Ist das Kulturhaus Loschwitz ein Bollwerk des anarchischen Pluralismus oder eine Unterstützerzelle des Rechtspopulismus? Als Susanne Dagen Anfang dieses Jahres zusammen mit Götz Kubitscheks Antaios-Verlag eine Veranstaltungsreihe (“Mit Rechten lesen”) organisierte, in der sie mit Ellen Kositza, der Publizistin und Ehefrau von Kubitschek, und einem Gast aus dem rechtskonservativen Milieu über belletristische Neuerscheinungen diskutiert, reagierten die Dresdner Publizisten Hans-Peter Lühr und Paul Kaiser, der Buchhändlerin eigentlich seit Langem verbunden, mit einem offenen Brief, in dem sie sich erschüttert zeigten, dass die Loschwitzer Buchhändlerin sich “mit dem rechten Spektrum der Gesellschaft” solidarisiere. Darauf reagierte dann wieder Uwe Tellkamp: Er kaufe den beiden den besorgten Ton nicht ab, das sei “Klassenleitertadel, in Fürsorglichkeit gehüllt”, und erinnere ihn an die Funktionärssprache des Schriftstellerverbands zu DDR-Zeiten.

Puh. Klar ist jedenfalls: In Dresden fehlt es nicht an politischen Energien. Dass der politische Symbolort dieser Auseinandersetzung ausgerechnet eine Buchhandlung ist, verrät einiges über die besondere Dresdner Lage. Dass die Rechten jetzt auch noch Romane lesen, mag der eine als Witz, der andere als Zumutung, ein Dritter als Täuschungsmanöver empfinden. Im letzteren Falle würde der Verleger Kubitschek, dessen strategisches Ziel gewiss nicht die Verteidigung des Grundgesetzes ist, das Kulturhaus Loschwitz nutzen, um seine politischen Ziele kulturell zu sublimieren. Die Buchhändlerin Susanne Dagen wäre der nützliche Idiot.

Schaut man ins Veranstaltungsprogramm des Kulturhauses Loschwitz, stellt man fest, dass ausgesprochen anspruchsvolle Lyriker wie Uwe Kolbe oder Christian Lehnert hier auftreten. Aber ist da nicht eine rote Linie überschritten, wenn man bei einer Buchhändlerin auftritt, die mit dem rechtsextremen Antaios-Verlag zusammenarbeitet? Dieser Frage wollen wir nachgehen. Und auch der Frage, ob es eine kulturelle Sonderwelt in Dresden gibt, die anders tickt als der Westen.

Als wir bei Susanne Dagen anrufen, stimmt sie einem Treffen sogleich zu. Taktisches Misstrauen ist nicht ihre Sache: “Ich arbeite in der dümmsten Branche der Welt, die so eng geworden ist unter gleichzeitiger Anrufung von Vielfalt und Pluralismus.”

Ob sie die Zusammenarbeit mit dem Antaios-Verlag nicht für problematisch halte? Ihre Antwort: “Mein Gott, wir sind doch Leser! Kositza und mich verbindet die Liebe zur Literatur. Als Leser denkt man immer vielstimmig. Man muss in alle Richtungen schauen.”

Tatsächlich ist “Mit Rechten lesen” ein bildungsbürgerlich strenges Gesprächsformat. Es wird über Literatur geredet. Über Highbrow-Literatur (Wladimir Sorokin!). Während sonst im Kulturbetrieb seit zwanzig Jahren gebetsmühlenartig davon die Rede ist, die Unterscheidung von U- und E-Literatur müsse in Deutschland endlich überwunden werden, wird hier noch mit einer gewissen gouvernantenhaften Strenge über bloße Unterhaltungsliteratur die Nase gerümpft.

Bevor wir uns nach Dresden auf den Weg machten, haben wir uns noch mit dem Publizisten Sebastian Kleinschmidt und dem Dichter Durs Grünbein in Berlin getroffen. Grünbein kennt den Antaios-Verlag, denn er ist ein Leser, der sich keine Lektürezensuren auferlegen lässt. Eher wundert er sich, warum heute so ein Bohei um den Verlag gemacht wird. “In den Neunzigerjahren, als ich im Gespräch mit Heiner Müller war, da lagen diese ganzen reaktionären Autoren von Donoso bis Dávila ja schon auf dem Tisch, und man versuchte, sie in sein eigenes dialektisches Denken einzubauen. Das ist ja nicht neu, was Antaios da verlegt.”

Und er fügt hinzu: “Ich habe immer Gegnerforschung betrieben.” Der Boykott von Botho Strauß nach der Veröffentlichung seines
Anschwellenden Bocksgesangs
habe ihm nie gefallen. Die Linke sei unfähig zur Dialektik geworden. Es sei doch klar, dass es zu jeder These eine Gegenthese gebe: “Botho Strauß ist mit Adorno groß geworden, kein Wunder, dass er sich eines Tages für Heidegger interessierte.”

Hits: 150