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Rezo-Video: Die spinnen, die anderen

In der vergangenen Woche ist etwas Beunruhigendes passiert; etwas,
das eigentlich nicht neu ist, aber plötzlich ganz deutlich in den großen
Schlagzeilen zutage trat: ein kommunikativer Kollaps.

Es war in der heißesten Phase des Wahlkampfes, als alle plötzlich auf dieses YouTube-Video starrten: “Die Zerstörung der CDU”, 55
Minuten lang, inzwischen mehr als 12,5 Millionen Abrufe. Viele der Zuschauerinnen und Zuschauer feierten es, teilten es in den sozialen Netzwerken. Doch die erwähnte Volkspartei
zeigte sich tagelang kaum fähig, argumentativ auf die Kritik einzugehen, und antwortete stattdessen mit Gegenangriffen.
Auch die anderen, teils mitkritisierten Parteien scheiterten daran, souverän auf das Video zu reagieren. Und viele Medien
erklärten erst einmal onkelhaft, wo der 26-Jährige YouTuber Rezo seine Thesen
zu einseitig mit Quellen belegt habe. In sozialen Netzwerken wurden die
Unionsparteien mit verächtlichem Hohn und Spott überzogen wurden.

Alles erwartbare Reflexe, könnte man sagen. Und doch
offenbarte sich daran so deutlich wie selten zuvor, wie überfordert fast alle
waren, über dieses Video, über die darin formulierte Kritik miteinander zu sprechen.
Statt nur den eigenen Reihen zu erklären, warum die jeweils anderen solche Idioten
sind.

Nur Sieg oder Niederlage

Das ist verständlich: Natürlich ist es angenehmer, sich mit
Menschen auseinanderzusetzen, die die eigene Sprache sprechen und den eigenen
politischen und weltanschaulichen Positionen möglichst nahe stehen. Weil Streit
anstrengend ist, Verständigung auch. Und weil es in der eigenen Gruppe wahrscheinlicher
ist, Zustimmung zu finden. Für eine Demokratie ist es aber brandgefährlich, sich dermaßen in die eigene Filterblase zurückzuziehen. Weil sich so Gesellschaften spalten, Öffentlichkeiten fragmentieren. Und dann jede politische Entscheidung auf Sieg oder Niederlage hinausläuft – weil eben entweder die Idiotinnen siegen oder die eigene Seite.

Bitter ist das, wenn man sich anschaut, wer in diesem
Rezo-Streit von wem überfordert ist. Es geht hier schließlich nicht darum, mit
Rechtspopulisten zu diskutieren, deren Ziel die Spaltung der Gesellschaft, die
Zerstörung demokratischer Debatten ist. Über den Umgang mit ihnen ist in den vergangenen
Jahren viel und zu Recht geredet worden. Das Rezo-Video sollte aber eigentlich einen Streit entfachen können, den eine liberale Demokratie ohne Probleme führen kann. Den nämlich zwischen einer jungen Generation
politisch Unorganisierter, die sich wütend zu Themen wie Generationengerechtigkeit,
Netzpolitik und Klimawandel äußert, und denen, die im heutigen Politik- und
Mediensystem mächtig sind.

Fehlt beiden Seiten – Ausnahmen
bestätigen die Regel – die Kraft oder der Wille, diese politische Auseinandersetzung
mit Argumenten und direkter Konfrontation miteinander zu führen, ist das für die
Demokratie finster. Denn auch auf die Gefahr hin, dass man eine Diskussion oder gar Abstimmung verliert: Wer nicht einmal mehr miteinander spricht, schließt jede Chance eines Kompromisses von vornherein aus. Macht unmöglich, am Ende gar Verständnis dafür zu entwickeln, was den anderen zu seiner Haltung veranlasst. So entstehen Gräben, die Gesellschaften spalten. 

Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer reagierte nun auf das schlechte
Ergebnis der CDU bei der Europawahl, indem sie ankündigte, über Regeln für
politische “Meinungsmache” im Internet
in Wahlkampfzeiten diskutieren zu
wollen. Heißt: darüber, dass die Anderen wieder den Mund halten – auch wenn Kramp-Karrenbauer ihre Aussage nun nicht mehr so verstanden wissen will. Statt
endlich die Vorwürfe der jungen Generation gegen die
eigene Partei aufzugreifen, blockte sie jegliche Diskussion ab.

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