/Wolfgang Merkel: “Die Grünen werden nicht zu einer neuen Volkspartei”

Wolfgang Merkel: “Die Grünen werden nicht zu einer neuen Volkspartei”

Die Jungen wählen Grün. Doch auch sie werden älter und möglicherweise konservativer, sagt der Demokratieforscher Wolfgang Merkel im Interview.

Mit rund 30 Prozent haben die Grünen bei den Europawahlen
von den jungen Menschen die meisten Stimmen bekommen. Auch wegen Fridays für Future
und dem YouTuber Rezo, sagt Wolfgang Merkel. Er ist Direktor der Abteilung
Demokratie und Demokratisierung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und
Professor für Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin.

ZEIT Campus ONLINE: Herr Merkel, Deutschland ist ein altes Land,
die Jungen sind in der Unterzahl. Jetzt erzielen die Grünen – nachdem junge
Menschen seit Ende letzten Jahres für Klimaschutz auf die Straße gehen, nach
dem Video des YouTubers Rezo – bei den EU-Wahlen ihr erfolgreichstes Ergebnis
bei einer bundesweiten Wahl. Können jungen Menschen in Deutschland also doch
Themen setzen?

Wolfgang Merkel: Auf jeden Fall. Der Erfolg der Grünen hängt mit
Sicherheit mit den jungen Menschen zusammen, die jeden Freitag auf die Straße
gehen. Sie haben so etwas wie einen frischen Wind für die drängende Klimafrage
in die Politik gebracht. Die Bewegung hat dafür gesorgt, dass die Klimapolitik
eine hohe Priorität bei den Europawahlen erhalten hat. Die Grünen haben es
geschafft, sich geradezu monopolistisch als die einzige politische und
innovative Kraft darzustellen, die effektiv etwas gegen den Klimawandel tut.

Wolfgang Merkel ist Direktor der Abteilung Demokratie und Demokratisierung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und Professor für Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Wolfgang Merkel ist Direktor der Abteilung Demokratie und Demokratisierung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und Professor für Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin.
© David Ausserhofer

ZEIT Campus
ONLINE:
Noch bei der Bundestagswahl 2017 lagen
CDU und CSU bei jungen Wählerinnen und Wählern deutlich vor den Grünen. Warum
waren die Grünen bei dieser Europawahl vor allem bei den jungen Menschen so
erfolgreich?

Merkel: Weil die Klimapolitik in den letzten sechs Monaten eine so
prominente Stellung eingenommen hat wie kein anderes politisches Thema. Fridays for Future war eine
Wahlkampfmaschine für die Grünen. Klima
wurde zum zentralen Problem im politischen Diskurs und die Partei konnte eine hohe
Glaubwürdigkeit in dieser Frage aufweisen. Die Wahlkampfmaschine – und das
meine ich positiv – der jungen Menschen hat dann zu diesem Erfolg von 20 Prozent geführt.

ZEIT Campus ONLINE: Sind denn die jungen Menschen
politischer als noch vor ein paar Jahren?

Merkel: Ja. Wir sehen schon länger eine
Zunahme an konventioneller und nicht konventioneller Partizipation. Wir leben
in einer stärker polarisierten Gesellschaft, in der die alten konsensorientierten
Akteure an Kraft verloren haben und neue Akteure, die Rechten, aber auch die
Grünen und Protestbewegungen aus der Zivilgesellschaft, gleichsam die alten
Volksparteien als Blutspender für ihr eigenes Aufleben benutzen.

ZEIT Campus ONLINE: Die Rechten und die Grünen gegen die etablierten Parteien?

Merkel: Ja. Beide Gruppen, die Rechtspopulisten und die Grünen,
drängen auf Erneuerung gegenüber der Politik der alten Volksparteien. Die Grünen haben das eindeutig überzeugender machen können, wobei die soziale
Bewegung der Schülerinnen und jungen Leute eine wichtige Rolle gespielt hat.

ZEIT Campus ONLINE: Auch eine Abneigung gegenüber den anderen
Parteien hat den Grünen also zu ihrem Wahlerfolg verholfen?

Merkel: Einerseits gibt es bei den Wählerinnen und Wählern eine
Müdigkeit, immer wieder dieselben Parteien und Politiker an der Spitze zu sehen.
Andererseits gab es das Aufbegehren der jungen Menschen, das Klima zu retten. Die
etablierten politischen Parteien waren nicht in der Lage, ein Thema, bei dem
sie Glaubwürdigkeit haben, ähnlich prominent zu platzieren, oder ihre
Klimapolitik glaubwürdig zu formulieren. Die Grünen aber hatten mit dem Klima
ein Megathema. In der Umwelt- und Klimapolitik sind sie glaubwürdig. Ich bin
sicher, andere Parteien werden nachziehen, aber erst einmal fahren die Grünen
die Monopolgewinne als Anti-Klimawandel-Partei ein. Die Grünen gelten auch als
eine jüngere Partei. Sie haben ein jüngeres Image und das stärkt zumindest die Innovationsvermutung
für diese Partei.

ZEIT Campus ONLINE: Die anderen Parteien sollten also auch einfach
den Klimawandel auf ihre Prioritätenliste setzen, um bei den jungen Wählerinnen
und Wählern erfolgreich zu sein?

Merkel: Das werden sie in gewissem Maße tun. Sie werden reagieren,
das ist ein mechanischer Nachahmungsreflex.
Sie vermuten, es zahlt sich auf dem
Wählermarkt aus. Es ist ein sensibler
Mechanismus in der Demokratie, dass politische Parteien auf veränderte
Nachfragen in der Wählerschaft eingehen. Es wird aber etwas dauern, bis etwa die
CDU oder die FDP Glaubwürdigkeit in der Klimapolitik erwerben können. Außerdem
kollidiert das zumindest kurzfristig mit anderen Parteizielen wie dem
Wirtschaftswachstum.

Hits: 37