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Wohnungsbau: Die Heimsuchung

Viele Gebäude der Gegenwart, vermutlich die meisten, entstehen aus dem
Geist des Containers. Es gibt sie als Blocks oder Riegel, im Mehr- und Einfamilienhausformat,
doch immer sind sich diese Bauten zum Verwechseln ähnlich: kantig und karg, Wohnkisten ohne
Charakter und Charme. Das soll auch so sein, denn nichts ist billiger als normgerechte
Einfallslosigkeit. Nichts lässt sich schneller und einfacher errichten als ein Haus, das auf
jeden Gestaltungswillen verzichtet. Es dient allein dem Zweck. Es ist vernünftig von der
Tiefgarage bis unters Flachdach. Und dagegen ist wohl kaum etwas zu sagen.

Die meisten Menschen sagen auch wirklich nichts. Sie sind froh, überhaupt eine irgendwie bezahlbare Bleibe zu haben, wie könnte man da wählerisch sein. Lieber hässlich als teuer, besser eine bleiche Kiste als gar keine Wohnung. Am Ende gewöhnt man sich schließlich an alles.

Und es ist ja tatsächlich so: Der Mensch wohnt in seinem Haus, und irgendwann – man kommt sich unausweichlich näher – wohnt das Haus auch in ihm. Der Geist des Containers, er zieht bei ihm ein. Und allein deshalb ist die durchoptimierte Ödnis all der Wohnschachteln, die nun landauf, landab entstehen, weit mehr als ein ästhetisches Problem. Sie erzählt etwas von der inneren Gestimmtheit der Einzelnen und der Gesellschaft. Man könnte sagen: Die trüben Kisten, das sind wir.

Die Art und Weise, wie wir wohnen, das schrieb schon der große Soziologe Norbert Elias, ist immer auch ein “Anzeiger gesellschaftlicher Strukturen”. Soll heißen: Das Hässliche vieler Neubauten ist nicht deshalb hässlich, weil Architekten oder Stadtplaner es nicht besser wüssten (das manchmal auch). Es ist hässlich, weil die Verhältnisse es sind. Und wer die Hässlichkeit schulterzuckend hinnimmt – als lässliches Übel und weil wir ja dringend ganz viele neue Wohnungen brauchen –, erklärt sich mit diesen Verhältnissen einverstanden. So allerdings verstärkt sich nur das allgemeine Unbehagen. Es verstärkt sich die systemische Schizophrenie, in der wir leben und die in der Hässlichkeit ihre symbolische Form findet.

Besonders deutlich zeigt sich der schizophrene Irrsinn beim Geld: Je teurer nämlich die Wohnhäuser werden, desto billiger sehen sie aus. Je exaltierter ihr Preis, desto einfältiger die Erscheinung. Ausgerechnet ein sich an der eigenen Gier besaufender Markt gebiert eine Ästhetik der Ausnüchterung.

Das unterscheidet diese Häuser von den fein austarierten Kompositionen, um die es den Architekten der Moderne ging. Sie folgten, oft vom Bauhaus inspiriert, dem Ideal der Einfachheit. Hingegen interessiert sich der marktgetriebene Reduktionismus von heute nicht im Geringsten für “das freie Spiel der Formen im Licht” (Le Corbusier). Es geht allein um Profit, und entsprechend plump sehen die Bauten aus. Gigantische Summen fließen in Grund und Boden, Stahl und Glas und in die Kassen der Spekulanten – während die Häuser immer verhärmter aussehen.

Es ist ein Reichtum, der viele arm macht: Ärmer werden die, die mehr Miete zahlen denn je. Und ärmer wird die Architektur, der so ziemlich alles abhandenkommt, was nach Eigensinn, Fantasie oder Geschmack aussieht. Und so zwängt sich die “Gesellschaft der Singularitäten” (der Soziologe Andreas Reckwitz) ins Ghetto der Tristesse.

Verschärft wird die Schizophrenie noch durch eine Knappheit, die im Luxus wurzelt. Schließlich wird ja vor allem deshalb so besinnungslos drauflosgebaut, weil es an Wohnraum mangelt, dieser Mangel jedoch wird nicht zuletzt durch enorm gestiegene Ansprüche verursacht. Hamburg beispielsweise hatte vor einem halben Jahrhundert fast ebenso viele Einwohner wie heute, nur dass es jetzt weit mehr Wohnungen gibt als damals – rund 50 Prozent mehr!

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