/Liberalismus: Befreit die Freiheit!

Liberalismus: Befreit die Freiheit!

In
der CDU sehnte man sich zuletzt nach einem konservativen Profil. Der SPD-Nachwuchs hat
genug vom Wischiwaschibegriff der sozialen Gerechtigkeit und will gleich in den
Sozialismus
. Und die Grünen möchten zusätzlich zu allem anderen jetzt auch noch
liberal und konservativ sein.

Wir
erleben ein Comeback ideologisierter Begrifflichkeit, in dem sich ein Bedarf
nach politischen Ideen zeigt. Der technokratische Sachzwang, so scheint es, hat
lange genug die Politik bestimmt. Jetzt wird – das zeigen auch die Ergebnisse der Europawahl, das schlechte Abschneiden der Volksparteien und der Erfolg der Grünen – wieder größer gedacht.

Das
kommt insofern etwas unerwartet, als Ideologien zwischenzeitlich weitgehend in
der Ideengeschichte verschwunden waren. Kommunismus, Faschismus und
Nationalsozialismus sind im 20. Jahrhundert untergegangen, aber auch Konservatismus, Liberalismus
und Sozialismus wurden zuletzt überwiegend als Weltanschauungen gar des 19.
Jahrhunderts begriffen und haben ihre bindende Kraft für die Gegenwart verloren.

Umso
erstaunlicher, was schon seit einer Weile speziell bei den Grünen geschieht: Mit
Erfolg hat Winfried Kretschmann “eine neue Idee des Konservativen” lanciert, um
eine heimatverbundene Haltung zugleich ökologisch wertegeleitet und
praxisorientiert zu präsentieren. Robert Habeck ist derweil dabei, durch eine
geschickte Begriffspolitik die Grünen als verfassungspatriotische Partei der
Mitte zu etablieren, was er mit Statements wie “Ich würde links immer mit
liberal kombinieren” garniert.

Das
alles führt uns vor Augen, wie erklärungsbedürftig politische Ideen im Allgemeinen
und im Besonderen sind. Wir wollen wieder wissen, was liberal, konservativ und
sozialistisch eigentlich heißen kann. Noch relativ einfach lässt sich die Lage
des Konservatismus beschreiben. Von Anfang an wohnte dem ein reaktives Moment
inne, er antwortete stets auf den beschleunigten Fortschritt. Seine sozialen
Milieus waren immer an Besitzstandswahrung interessiert. Nur die Vorstellungen
darüber, was denn eigentlich zu bewahren ist, blieben variabel. Konservatismus
kann sich auf Traditionen aller Art beziehen, möchte institutionelle Ordnungen
konservieren und fürchtet, dass das Neue die Bürgerinnen und Bürger überfordern
könnte. Positiv gewendet will er für Reflexivität, skeptische Gegengewichte und
lebensweltliche Verträglichkeit in der Politik sorgen. Es geht um eine Haltung
der Behutsamkeit. Für die Ökologiebewegung war das Konservative schon immer
anschlussfähig.

Mit
dem Liberalismus steht die Sache anders. Gläubige Neoliberale und ihre
erbitterten Gegner sind gleichermaßen auf das Zerrbild eines dogmatischen
Wirtschaftsliberalismus fixiert, der auf Freiheit vom Staat, auf bürgerliche
Eigenverantwortung und auf die Heilkräfte des Marktes setzt. Dabei handelt es
sich beim Liberalismus in Wahrheit um eine vielfältige Wertefamilie mit
teilweise nur sehr losen Verbindungen. Der Versuch, Freiheit zu bestimmen, wird
in jeder Epoche neu unternommen. Das hat schon Friedrich Naumann festgestellt,
der im Kaiserreich sein Heil in einer nationalen und sozialen Erweiterung des
Liberalismus suchte. Naumann hatte bei aller Distanz, die wir heute zu seinen
Auffassungen haben, eines verstanden: Freiheit ist immer gesellschaftlich
bedingt und politisch vermittelt. Sie ist kein Zustand, der sich sichern lässt,
sondern sie ist ein Ermöglichungsraum, dessen Bedingungen immer wieder neu
ausgehandelt werden.

Das
macht den Begriff in den aktuellen Debatten gleich auf mehreren Ebenen
interessant. Die bipolare Konstitution des Liberalismus zwischen individueller
Freiheit und Gemeinwohlorientierung etwa hat an dieser Stelle bereits Hannes
Bajohr pointiert in Erinnerung gerufen
, als es um Kevin Kühnerts Überlegungen
zur Verstaatlichung ging.

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