/Andrea Nahles: All in

Andrea Nahles: All in

Eines muss man Andrea Nahles lassen:
Chuzpe hat sie. Noch am Montagnachmittag hatte
die SPD-Chefin bei den Beratungen über das desaströse Europawahlergebnis
ihrer Partei betont, sie halte so gar nichts von Personalspekulationen. Am Abend folgte der Überraschungsangriff.

In der ZDF-Sendung Was nun kündigte sie lächelnd an,
die eigentlich auf September angesetzte Wahl des Fraktionsvorsitzes auf nächste Woche Dienstag vorzuziehen. Nahles ist zugleich Fraktions- und
Parteivorsitzende der SPD. Aber vor allem um ihre Zukunft als Chefin der Bundestagsfraktion
hatte es in den vergangenen Tagen viel “Gemurmel” gegeben, wie Nahles nun sagte. Sie wolle wieder kandidieren und wer meine, es besser zu können, könne sie ja herausfordern. 

Die Bundestagsfraktion gilt als Machtzentrum der SPD und
Abgeordnete vor allem aus Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen sind
zutiefst unzufrieden mit Nahles’ Performance. Der ehemalige Parteichef Martin Schulz soll an ihrem Job interessiert sein, auch Achim Post, bisher ein Stellvertreter in
der Fraktion, wird als möglicher Gegenkandidat gehandelt.

Doch Nahles‘ mögliche Gegner haben sich noch nicht
sortiert, geschweige denn öffentlich geäußert. Überhaupt ist noch offen, ob sie in
der derzeit aussichtlosen Lage für die SPD den Führungsposten
wirklich wollen oder ob sie nur zündeln.

Kann Schulz es besser?

Dieses Momentum versucht Andrea Nahles nun für sich
zu nutzen. Die Fraktionschefin stellt die Machtfrage, geht all in, will die Karten ihrer Gegner sehen. Damit zielt sie auf einen
wunden Punkt in der Partei: In der SPD gibt es zahlreiche Politiker, die Nahles
mit ihren launigen, bisweilen schrägen Auftritten zwar für “verbrannt” und  den Wählern nicht mehr vermittelbar halten. Doch noch ist kein Nachfolger in Sicht. Einer oder eine, der oder die es besser macht. Die wenigsten in der SPD denken,
dass die äußere Glaubwürdigkeitskrise und die innere Verzweiflung durch den erneuten Austausch von Führungspersonal zu lösen ist.

Das beste Beispiel dafür ist Martin Schulz. Er hat selbst
eine Wahl für die SPD krachend verloren und danach viele strategische Fehler begangen.
Schulz wurde als Vorsitzender abgelöst, aber für die Partei ging es weiter nach unten. Und Politiker wie Achim Post und der ebenfalls immer wieder
genannte Matthias Miersch sind weitgehend unbekannt und
nicht unbedingt mit dem Charisma ausgestattet, eine so nervöse Partei wie die SPD zu
beruhigen und ihr neue Orientierung zu geben.

Nahles’ Offensive kam für viele in der SPD-Führung völlig überraschend, sie scheint weitgehend heimlich vorbereitet. Der Partei, so sieht sie es, soll mit der vorgezogenen Wahl eine wochen- oder monatelange Personalspekulation erspart bleiben.

Doch was will Nahles mit ihrer Kampfansage erreichen? Auch wenn der SPD-Chefin oft Realitätsferne vorgeworfen wird und sie an diesem Abend ihren Machtanspruch formuliert hat: Andrea Nahles weiß selbst ganz genau, wo ihre Grenzen liegen.

Die SPD-Chefin ist sich sehr bewusst darüber,
dass sie wohl niemals Kanzlerkandidatin werden wird, dass viele Bürgerinnen und
Bürger das Gesicht verziehen, wenn nur ihr Name fällt. Zuletzt schien es sogar so,
als fichte sie das gar nicht mehr an. Zu ihrer Zeit als Arbeitsministerin versuchte Nahles noch, ruhiger und verbindlicher aufzutreten. Zuletzt sang sie Karnevalslieder und machte SPD-Kandidaten auf der Wahlkampfbühne schräge Liebeserklärungen. Man könnte sagen: Nahles hat keine Lust mehr, sich zu verstellen. Oder vielleicht hat sie sich auch ihren Schwächen ergeben.

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