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Europawahl: Schaut auf diese Städte

London

In Großbritannien hat nicht nur das Ergebnis, sondern schon die bloße Tatsache der EU-Parlamentswahl große Bedeutung. Eigentlich sollte das Vereinigte Königreich zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr Mitglied der Union sein. Dass die Briten immer noch dabei sind und mitwählen müssen, wird zum peinlichen Symbol für das Versagen von Regierung und Parlament: Sie haben es nicht geschafft, rechtzeitig einen mehrheitsfähigen Austritt hinzubekommen. Dafür dürften sie jetzt mit einem Protestvotum abgestraft werden.

Die Frage ist: wie heftig und mit wie dramatischen Folgen? Gefahr droht den regierenden
Konservativen. Es gilt als wahrscheinlich, dass sie weit abgeschlagen hinter der neu
gegründeten Brexit-Partei des EU-Gegners Nigel Farage landen werden, die als stärkste Kraft
aus der Wahl hervorgehen könnte. Die glücklose Parteichefin
und Premierministerin Theresa May trat schon vor der Wahl zurück. Ein Wahldebakel würde auch die Frage
aufwerfen, wie und mit wem die Konservativen überhaupt noch als führende politische Kraft
Großbritanniens zu retten wären. In einer solchen Lage steigen bei der May-Nachfolge die
Chancen für einen antieuropäischen Hardliner, dem man zutraut, die zur Brexit-Partei
abgewanderten Wähler zurückzugewinnen. Infrage käme etwa der frühere Außenminister Boris Johnson.

Jan Ross

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Rom

Der italienische Innenminister Matteo Salvini ist der starke Mann Italiens. Er wird es wohl auch nach der Europawahl bleiben. In Umfragen liegt seine Partei Lega stabil bei über 30 Prozent. Ein Blick zurück macht klar, wie erfolgreich Salvini ist. Bei den Wahlen zum italienischen Parlament im März 2018 erreichte die Lega 17 Prozent. Salvini hatte ihren Vorsitz im Jahr 2013 übernommen. Damals erlangte die Partei bei Parlamentswahlen Anteile im unteren einstelligen Bereich. Sie schien kurz vor dem Verschwinden zu sein.

Der Stimmenzuwachs der Lega geht vor allem auf Kosten des Koalitionspartners, der Partei Movimento 5 Stelle. M5S liegt laut Umfragen zur Europawahl um die 21 Prozent, bei den Parlamentswahlen 2018 erreichte sie noch 32 Prozent und wurde mit Abstand die stärkste Partei Italiens. Das Kräfteverhältnis hat sich also umgekehrt. Sollten die Umfragen recht behalten, dann verheißt das nichts Gutes für die Stabilität der italienischen Regierung. Salvini könnte versucht sein, die Koalitionsregierung mit M5S zu beenden und baldige Neuwahlen anzustreben. Die Lega würde dann sehr wahrscheinlich M5S als stärkste Partei Italiens ablösen. Salvini hätte beste Chancen, Ministerpräsident zu werden, indem er mit kleineren Parteien rechts der Mitte koaliert. Und M5S könnte ihrerseits aufgrund der Wahlverluste zu dem Schluss kommen, dass ihr die Koalition mit der Lega nur schadet, und sie deshalb beenden.

Als Ministerpräsident Italiens hätte Salvini noch einmal ganz andere Mittel, um die EU unter
Druck zu setzen. Sein bisherige Politik lässt jedenfalls nicht darauf schließen, dass mit der
Macht seine Zurückhaltung wächst.

Ulrich Ladurner

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Brüssel

Die rechtspopulistischen Parteien erreichen wahrscheinlich rund ein Drittel der Mandate im Europaparlament. Bisher sind sie auf drei Fraktionen verteilt. Ob sie in einer Fraktion zusammenfinden können, ist höchst zweifelhaft. Es müssten zum Beispiel die russlandfreundliche Lega von Matteo Salvini und der ebenso putinophile Rassemblement National von Marine Le Pen mit der polnischen nationalkonservativen Partei PiS zusammenarbeiten – das ist kein leichtes Unterfangen. Deshalb werden die Rechtspopulisten zwar mehr Mandate bekommen, aber wahrscheinlich nicht ihre volle Schlagkraft entwickeln können.

Umfragen erlauben die Prognose, dass die Europäische Volkspartei (EVP) stärkste Kraft im
Europaparlament bleiben wird, auch wenn sie Federn lassen wird. Die Sozialdemokraten, die
S&D-Fraktion, werden voraussichtlich deutlich verlieren. Beide zusammen laufen Gefahr, die
absolute Mehrheit nicht zu erreichen, die es braucht, um den Kandidaten für das Amt des
Kommissionspräsidenten zu nominieren. Die Spitzenkandidaten Manfred Weber von der EVP wie auch
Frans Timmermans von S&D brauchen deshalb die Unterstützung anderer Parteien. Es zeichnet
sich ab, dass die Liberale Fraktion leichte Zugewinne erzielen kann, ebenso die Grünen – beide
böten sich als Partner an. Nachdem allerdings die Mehrheitsverhältnisse so unklar sind, ist es
durchaus möglich, dass weder Weber noch Timmermans das Rennen machen – sondern ein dritter
Kandidat. Michel Barnier, der Brexit-Verhandler der EU, hat Ambitionen, auch die Dänin
Margrethe Vestager, Wettbewerbskommissarin und Kandidatin der Liberalen. Man stellt sich in
Brüssel jedenfalls schon mal auf eine Hängepartie ein.

Ulrich Ladurner

Schengener Abkommen – Ist das grenzenlose Europa in Gefahr?
Seit 2015 kontrollieren mehrere EU-Länder wieder ihre Grenzen. Ein Ende ist nicht in Sicht, eine Ausweitung schon. EU-Parlamentarierin Tanja Fajon kämpft dagegen.
© Foto: Reuters / Sven Wolters

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Warschau

Der Europawahlkampf in Polen wird von der Auseinandersetzung der beiden großen politischen Blöcke geprägt – und von der Konkurrenz zweier alter Rivalen. Da ist zum einen die nationalkonservative Regierungspartei PiS mit ihrem Vorsitzenden Jarosław Kaczyński an der Spitze. Zum anderen führt die liberalkonservative Bürgerplattform (PO) ein breites Oppositionsbündnis an. In der Europäischen Koalition (KE) haben sich erstmals Grüne, Sozialdemokraten und Bauernpartei mit der PO zusammengetan. Gemeinsam kämpfen sie gegen die PiS. Unterstützt wird die Opposition von Donald Tusk, dem früheren polnischen Regierungschef und derzeitigen Präsidenten des Europäischen Rats.

Weder Tusk noch Kaczyński stehen am Sonntag zur Wahl. Dass sich beide in den vergangenen Wochen dennoch exponiert haben, liegt daran, dass die Europawahl in Polen das Vorspiel zu zwei weitaus wichtigeren Entscheidungen ist: Im Herbst wird ein neues Parlament gewählt und im kommenden Frühjahr ein neuer Präsident. Für die PiS geht es dabei darum, ihre zuletzt fast unumschränkte Macht zu verteidigen; umgekehrt will die Opposition diese unbedingt brechen. Tusk selbst werden Ambitionen nachgesagt, als Staatspräsident zu kandidieren.

In den Umfragen zur Europawahl liefern sich PiS und KE ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Vor allem für
die Opposition wäre ein Erfolg am kommenden Sonntag wichtig. Bewährt sich das Bündnis, könnten
die Oppositionsparteien auch bei der Parlamentswahl versuchen, ihre Kräfte zu bündeln. Für die
neu gegründete linksliberale Partei Wiosna (Frühling) ist die Europawahl ebenfalls eine
wichtige Probe. Denn auch Wiosna-Chef Robert Biedroń verfolgt vor allem ein Ziel: Er will im
Herbst die Regierung stürzen.

Matthias Krupa

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Paris

Paris is the place to be,
sagt Steve Bannon, ehemaliger Vertrauter von Donald Trump,
und er meint damit nicht, dass dem kennerisch Reisenden in Paris immer noch die schönsten
Luxushotels der Welt zur Verfügung stehen. In einem solchen hat er sich nämlich seit
vergangener Woche eingemietet, um der französischen Politik Ratschläge zu erteilen. Vielmehr
meint Bannon, dass am Sonntag in Frankreich über die Zukunft Europas entschieden wird.
Interessanterweise haben der ultrarechte Bannon und der liberale Staatschef Emmanuel Macron
einen ganz ähnlichen Blick auf die Wahl. Auch Macron sagt, es handele sich um eine
Schicksalswahl. Die Rechnung, die beide aufmachen, ist folgende: Wer das knappe Rennen von
Marine Le Pens Partei und Macrons Bewegung am Sonntag für sich entscheiden kann, der erringt
einen so großen symbolischen Sieg, dass seine Chancen für die Präsidentschaftswahlen 2022
steigen.

Das allerdings ist alles andere als zwangsläufig. Banal der Hinweis, dass bis dahin noch sehr
vieles aller Art passieren kann. Immerhin befinden wir uns inmitten einer Klimakrise, immerhin
scheinen Teile der amerikanischen Regierung einem bewaffneten Konflikt generell nicht
abgeneigt. Vor allem aber kommt es bei den Wahlen nicht darauf an, wer einen, zwei oder drei
Prozentpunkte vor wem liegt. Weder ist damit nämlich entschieden, dass Marine Le Pen
Präsidentin wird – einen tatsächlichen Machtgewinn stellen die Mandate in Straßburg nicht dar,
und schwer vorstellbar, dass die Symbolik einer Europawahl drei Jahre überdauert. Auch bei der
Wahl zum Europaparlament 2014 war Le Pens Partei die deutlich stärkste Kraft. Aber eine
Entwarnung, sollte Macron knapp vorn liegen, wäre ebenfalls verfrüht. Le Pen hat sich von
ihrer Niederlage im Jahr 2017 erholt. Sie ist die Stimme der Opposition, die beinahe jeden Tag
in der Öffentlichkeit zu vernehmen ist. Die Franzosen selbst brauchen also nicht erst eine
Europawahl, um daran erinnert zu werden, dass die Rechtsextremistin reale Chancen hat, in drei
Jahren in den Élysée einzuziehen. Vielleicht aber die anderen Europäer.

Elisabeth Raether

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