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Europawahl in Österreich: Trotz allem erfolgreich

Die
Nerven in Österreich liegen seit Tagen blank. Überall wurde über
das Ibiza-Video diskutiert, in der Wiener Innenstadt genauso wie auf
Almhütten und bei Familienfeiern. Fast kein Gespräch,
ohne dass die Affäre und ihre Auswirkungen zur Sprache gekommen wären. Selten
zuvor wurde in diesem Land so viel über Politik debattiert. Wer
steckt dahinter? Wer hätte ein Motiv dazu?
Und wird Sebastian Kurz
an diesem Montag im Parlament als Bundeskanzler abgewählt? Fast hätte man
vergessen können, dass auch noch Wahlen zum Europäischen Parlament
stattfinden.

Deren
Ergebnis ernüchtert all jene, die davon ausgingen, die
rechtspopulistische FPÖ würde nun abgestraft werden. Nichts
dergleichen ist passiert. Trotz Strache, Gudenus und Ibiza.

“Jetzt
erst recht”, gaben die Freiheitlichen als Kampfmotto aus.
Heinz-Christian Strache übte sich in Demut, sein Nachfolger Norbert Hofer warb mit gespielter Freundlichkeit um Sympathien und der
geschasste Innenminister Herbert Kickl bediente mit der ihm eigenen
Gehässigkeit weiter das Milieu am ganz rechten Rand. Und die gesamte Partei
verbreitete munter Verschwörungstheorien darüber, wen sie als
Drahtzieher des Videos im Verdacht haben. Die Kommunikationsstrategie
war professionell und erfolgreich.

Erste
Befragungen zeigen: Die Affäre um das Ibiza-Video hat nur wenige
blaue Sympathisanten abgeschreckt. Nur zwei Prozent
geben an, deshalb eine andere Partei zu wählen. Ganze 16 Prozent der
FPÖ-Wähler hingegen meinten, dass sie ursprünglich nicht vorhatten, der Partei
eine Stimme zu geben, sich im Verlauf der Affäre jedoch dazu
entschlossen hätten.

Die
FPÖ hat vor allem bei europäischen Wahlen ein
Alleinstellungsmerkmal: Sie übt als einzige Partei offene und fundamentale Kritik an
der EU. Zwar äußert auch Bundeskanzler Sebastian Kurz immer wieder,
dass er großen Reformbedarf in Brüssel sehe, trotzdem gilt seine
ÖVP als proeuropäisch – und sein Spitzenkandidat Othmar Karas
ohnehin als glühender Europäer. Wer die Union ablehnt, dem bleiben
nur die Freiheitlichen.

Malaise der SPÖ

Die
Wahl zeigt aber auch die Malaise, in der sich die Oppositionsparteien
befinden. Sie konnten aus der Affäre um Heinz-Christian Strache und
seinen Adlatus Johann Gudenus keinen Vorteil ziehen – vor allem die
SPÖ. Sie windet sich, drückt sich um klare Ansagen und hat sich
auch nach mehreren Tagen des Herumlavierens noch nicht festgelegt, ob
sie am Montag im Parlament dem Bundeskanzler nun das Vertrauen
aussprechen will oder nicht. Wie sich daraus eine schlagkräftige
Kampagne für die Parlamentswahlen im Herbst zimmern lassen soll, das
wissen die roten Parteistrategen wohl selbst nicht.

Es
ist eine Wahl mit vielen Verlierern. Neben der ÖVP, die das beste
Wahlergebnis erzielte, das jemals bei einer Europawahl erreicht
wurde, können einzig die Grünen aufatmen. Seit Herbst 2017, als sie
aus dem Parlament gewählt wurden, kämpfen sie um ihr Überleben. Nun sind sie mit zwei Mandaten zurück. Das ist nicht nur Sarah Wiener zu verdanken, die auf Platz zwei kandidierte, sondern auch der
politischen Großwetterlage. Dass jeden Freitag Schülerinnen und
Schüler für den Klimaschutz demonstrieren, hat ihren Themen Aufwind
gegeben.

Die
Themen der liberalen Neos hatten hingegen wenig Konjunktur: Ihre
Forderung nach den “Vereinigten Staaten von Europa”, einer Europaarme und
einer europäischen Staatsbürgerschaft hat sie stagnieren lassen.

Regierungskrise einziges Thema

Und
natürlich hatten sie das Problem aller Oppositionsparteien, dass sich in den vergangenen
Tagen niemand für sie interessierte. Jeder hechelte den neuesten
Enthüllungen, Vermutungen und Indizien in der Ibiza-Affäre
hinterher. Europa? Fehlanzeige. Die Regierungskrise in Wien war das
einzige Thema.

Als
Sebastian Kurz dem ungeliebten Innenminister Kickl den Stuhl vor die Tür
stellte, setzte er damit alles auf eine Karte. Die restliche blaue
Regierungsmannschaft trat aus Solidarität geschlossen zurück, eine
Sondersitzung der Parlaments wurde einberufen und ein
Misstrauensantrag gegen den Bundeskanzler eingebracht.

Der
Wahlerfolg der ÖVP ist nun aber auch der Erfolg des Sebastian Kurz.
Er hatte sich stark in die Kampagne eingebracht, forderte vor wenigen
Wochen eine Neuverhandlung der europäischen Verträge und war
die vergangenen Tage omnipräsent. Die Bühne als Bundeskanzler wollen
ihm die Oppositionsparteien mit dem Misstrauensvotum eigentlich
nehmen. Er wäre dann im Nationalratswahlkampf nur ein einfacher
Parteichef, so wie alle anderen auch. Nun werden mit der Frage, ob sie es nach
diesem Wahltriumph morgen wagen sollen, einen populären Kanzler
abzuwählen, vor allem die Genossen von der SPÖ eine
schlaflose Nacht haben.

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