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Grundgesetz: Copyright: Grundgesetz

Von Spanien, über Ungarn bis nach Taiwan: Die Prinzipien der deutschen Verfassung sind nach 1949 weltweit kopiert worden. Dieter Gosewinkel hat dazu geforscht. Er leitet das Center for Global Constitutionalism am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). In diesem Gastbeitrag erklärt er im Rahmen unserer Reihe Deutschland 70/30, warum er die Rede vom “Exportschlager Grundgesetz” trotzdem für falsch hält.

Dass das Grundgesetz mit den Jahren zu einem der weltweit
erfolgreichsten Modelle des Verfassungsstaats wurde, hätte wohl keiner der
Schöpfer von 1949 gedacht. Solange die deutsche Teilung nicht überwunden war,
sollte die Verfassung nicht endgültig sein. Die Autorinnen und Autoren des
Grundgesetzes hatten sich Bescheidenheit auferlegt, auch weil sie sich bewusst waren, wie sehr sie selbst aus anderen
Rechtstraditionen schöpften, unter anderem der USA, der Schweiz und
Österreichs.

Das Grundgesetz des deutschen Weststaats war als
Provisorium gedacht, nicht auf Ausstrahlung über Deutschland hinaus angelegt. Es hatte sich, wie keine andere deutsche
Verfassung zuvor, internationalem Einfluss geöffnet, indem es beispielsweise
die Übertragung von Hoheitsrechten vorsah: Es akzeptierte
den Einfluss des internationalen auf das deutsche Recht und allmählich auch den
Vorrang des Rechts der Europäischen Gemeinschaft.

Erst die innere politische Stabilisierung der Bundesrepublik
und der wirtschaftliche Erfolg des Landes schufen die Grundlage für die
allmählich wachsende Strahlkraft und Attraktivität des Grundgesetzes über
Deutschland hinaus. Seit den Fünfzigerjahren war der wissenschaftliche
Austausch weltweit intensiviert worden und der deutsche Verfassungsstaat galt
als ausgeprägt liberal und demokratisch. Das machte das deutsche Recht
attraktiv gerade für Politiker und Juristen aus Ländern, die sich nach Kriegen
und diktatorischen Regimen neue Verfassungen gaben.

Von Spanien bis Südkorea

So übernahm Südkorea Anfang der Sechzigerjahre wesentliche
Elemente des Grundrechtsschutzes und der herausragenden Rolle des deutschen
Verfassungsgerichts in sein neues
Verfassungsrecht.

In den Siebzigerjahren trugen in der Bundesrepublik
ausgebildete griechische Juristen Kernelemente des Grundgesetzes in die
erste Verfassung Griechenlands nach der
Militärdiktatur hinein, manche Formulierungen wurden sogar wörtlich übernommen.
Wohl keine andere Verfassung ist so stark vom Grundgesetz geprägt worden wie
die spanische Verfassung von 1978 nach dem Ende des Franco-Regimes. Die
Sicherung der Grundrechte – zum Beispiel der Schutz der Menschenwürde und der freien Entfaltung der Persönlichkeit – in der Verfassung selbst geht wesentlich
auf das Grundgesetz zurück. 

Auch das Modell der spanischen
Verfassungsgerichtsbarkeit wurde nach deutschem Vorbild geformt. Andere Länder übernahmen nicht nur Teile des Verfassungstextes, sondern auch deutsche Rechtsprinzipien und Institutionen.

Das wurde ermöglicht und getragen von jahrzehntelangen
Kontakten zwischen Rechtswissenschaftlern und Politikern, von der Arbeit
politischer Stiftungen, transnationaler wissenschaftlicher Vereinigungen und
Publikationen. In einer Kultur der
internationalen Aufnahmebereitschaft für die Ideen des Grundgesetzes war die
Währung gegenseitiges Vertrauen und Anerkennung. Denn viele der
Rechtswissenschaftler und Politiker, die Elemente des Grundgesetzes in ihre
eigenen Verfassungsordnungen einführten, waren zuvor als Studierende oder
Exilierte in die Bundesrepublik gekommen. Dort hatten sie erfahren, wie eine
Verfassungsordnung verlässlich individuelle, politische und auch
wirtschaftliche Freiheit schützt. Und wie sie der totalitären Vergangenheit ein
überzeugendes Modell rechtsstaatlicher Demokratie entgegenzustellen vermag.

Viele dieser Juristen und Politiker, zum Beispiel aus
Spanien, Korea und Taiwan, trugen dazu bei, neben Prinzipien des Grundgesetzes
auch seine Auslegung in ihre Länder zu tragen,
indem sie als Wissenschaftler
und hohe Richter zum Beispiel Rechtsprechungsgrundsätze des Bundesverfassungsgerichts in
ihre eigene Praxis übernahmen.

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