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Rezo-Video: Die interessanteste Frage stellt er nicht

Der YouTuber Rezo hat mit einem Video für Aufmerksamkeit gesorgt, das anzuschauen jedem körperliche Schmerzen bereitet, der Wert auf differenzierte Argumente legt. In seiner Apokalyptik und dem unerbittlichen Ton gleicht die Wutrede mit dem Titel “Die Zerstörung der CDU” der neuen Klimabewegung. Die hat allerdings in ihrem zentralen Anliegen einen Großteil der Wissenschaft auf ihrer Seite.

Das gilt für Rezos Wutrede nicht, jedenfalls nicht für das Thema, mit dem er beginnt: Wirtschaft. Er beklagt die zunehmende Ungleichheit von Einkommen und Vermögen oder wie er es nennt: “Wenn dein Vadder reich ist, dann wirst du halt auch reich.” Er hat zwar interessante Quellen, doch das Thema entgleitet ihm. Denn er vereinfacht seine Erkenntnisse so radikal, dass vieles am Ende schräg ist oder schlicht nicht mehr stimmt.

Fünf Millionen Mal ist der Rezo-Rant geklickt worden. Es ist deshalb höchste Zeit, die Sache etwas zurechtzurücken. Vier Kritikpunkte.

Erstens: Relativ ist nicht absolut

Der YouTuber beklagt die Ungleichheit in Deutschland. Dabei sagt er Sätze wie: “Die Ärmsten 50 Prozent haben immer weniger Geld und die reichsten zehn Prozent immer mehr Geld.” Oder: “Dazu stieg die Armut in Deutschland in den letzten Jahren konstant an.” Er zeigt gleichzeitig Grafiken, die in die von ihm beschriebene Richtung weisen. Beide Sätze sind in dieser Apodiktik trotzdem falsch. Denn im Durchschnitt geht es heute allen Bevölkerungsgruppen besser als früher, auch den ärmeren. Die Einkommen sind fast überall gestiegen, nicht nur bei den Gutverdienern.

In Rezos Grafiken geht es aber immer um relative Armut und relativen Reichtum, also um die Stellung innerhalb der Gesellschaft. Wenn für Rezo die Armut steigt, bedeutet das also, dass die Armen zwar mehr bekommen haben, aber weniger zusätzlich (!) als die Besserverdiener. Das zu verstehen ist wichtig, weil sonst kaum zu erklären ist, dass die Bürger nicht längst auf den Barrikaden sind. Man kann diese relative Ungerechtigkeit ebenfalls ungerecht finden, den Unterschied muss man aber erklären.

Zweitens: Optische Tricks verzerren die Erkenntnis

Zugegeben, das kennen Journalisten auch. Aber Rezo schafft es, den sehr moderaten Anstieg der sogenannten Armutsrisikoquote von 14,7 Prozent auf 15,7 Prozent innerhalb eines Jahrzehnts optisch deutlich dramatischer darzustellen, als er ist – einfach, indem er die Achse streckt.

Beim Erben hat er eine Studie aufgetrieben, die hochgerechnet haben will, wie groß in verschiedenen Jahren der Anteil des ererbten Vermögens am Gesamtvermögen war. Er startet im Jahr 1970. Damals war dieser ererbte Anteil der Vermögen sehr klein; seither stieg er kontinuierlich an. Doch wieso hat er die Jahrzehnte zuvor weggeschnitten, obwohl sie in der Studie vorkommen? Ein Blick in die Studie verrät es: Weil man dann hätte sehen können, dass die Kurve eigentlich eine U-Form hat: Vor 1940 lag der Anteil des ererbten Vermögens sehr hoch, dann sank er stark, zuletzt stieg er wieder. Das alte Niveau hat er noch nicht wieder erreicht.

Zudem zeigt die Grafik in der Studie weitere Details, die Rezo weglässt: Darin sind auch Frankreich und Großbritannien abgebildet. Und siehe da: Dort liegt der Anteil ererbter Vermögen höher als in Deutschland. Und in der Schweiz liegt der Anteil der ererbten Vermögen etwa auf dem gleichen Niveau. Auf etwa diesem Niveau blieb er dort über den gesamten betrachteten Zeitraum (1910 bis 2010); die deutsche U-Form fehlt. Das liegt vermutlich daran, dass hier der Zweite Weltkrieg nicht für einen solch tiefen, zeitweisen Einschnitt gesorgt hat wie in Deutschland. Das bedeutet aber auch, dass der geerbte Anteil in Deutschland nicht unbedingt weiter steigen wird. Vielleicht wurde hier auch schlicht nach der Vermögensvernichtung im Krieg wieder aufgeholt.

Drittens: Ganz schön übertrieben

Rezo sagt mithilfe der gleichen Grafik, dass “die meisten Reichen” nicht reich würden, “weil sie hart arbeiten oder fleißig sind, sondern durch Erben und Schenkungen”. Hier übertreibt er. Die Grafik weist nämlich aus, dass der Anteil des ererbten Vermögens aktuell bei rund 50 Prozent des Gesamtvermögens liegt. Die Hälfte des Vermögens sind nicht “die meisten Reichen”, eher – vereinfachend – jeder zweite.

Viertens: Steuern oder keine Steuern, das ist hier die Frage

Um die wachsende Ungleichheit der Einkommen zu belegen, bezieht Rezo sich auf den sogenannten World Inequality Report, eine Studie des französischen Ökonomen Thomas Piketty mit weiteren Wissenschaftlern; in Deutschland war das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung beteiligt. Laut dieser Studie verdienen die reichsten zehn Prozent einen immer größeren Anteil des Gesamteinkommens, die ärmsten 50 Prozent einen immer kleineren. Die sogenannte Schere zwischen beiden Gruppen geht auseinander.

Rezo vergisst leider eine Besonderheit dieser Studie zu erwähnen: dass sie die Einkommen vor (!) Steuern und Sozialabgaben betrachtet. Das heißt, die ganze Umverteilung, die der Staat leistet, ist nicht einberechnet. Die wahre Ungleichheit der Einkommen ist folglich deutlich geringer.

Das ist unter anderem deshalb ziemlich irreführend, weil der YouTuber später belegen will, dass die Politik (speziell: die CDU) schuld an der ganzen Ungleichheit ist. Rezo argumentiert mit der Steuerbelastung. Er legt nahe, dass die Ungleichheit so hoch ist, weil die Steuerbelastung der Armen stieg, die der Reichen sank. Würde man das nur umdrehen, so insinuiert er, wäre alles besser. Man muss allerdings sagen: Die Ungleichheit, die der World Inequality Report misst, wäre davon völlig unberührt.

Und nun?

All das bedeutet nicht, dass Ungleichheit kein Problem in Deutschland ist. Doch wenn man ein Problem dermaßen verzerrt darstellt, wird es unmöglich, eine Lösung zu finden.

Ja, die Ungleichheit der Einkommen ist seit den Achtzigerjahren gewachsen. Das ist nicht erfreulich. Allerdings ist sie in den letzten zehn Jahren in Deutschland einigermaßen konstant geblieben. Ganz anders als beispielsweise in den USA. Dort wird deshalb gerade eine neue Bewegung lauter und lauter, die für radikal höhere Steuern eintritt. Deutschland muss nicht die gleichen Schlüsse ziehen. Denn das Land ist anders.

In Deutschland betrifft die Ungleichheit eher die Vermögen, die weit ungleicher verteilt sind als die Einkommen, sowie die Chancen, also die Möglichkeit, als Armer aufzusteigen in Richtung Reichtum.

Beide könnten – hier mal ein neuer Gedanke für Rezo – auf den gleichen Grund zurückzuführen sein: eine Wirtschaft, die die Dynamik der Wirtschaftswunderjahre schleichend verloren hat und nicht mehr wiederfindet. Eine Wirtschaft, die relativ starr das immer Gleiche produziert, damit lange sehr erfolgreich war, aber nicht gerade sehr dynamisch ist. Eine Wirtschaft, die kaum neue große Unternehmen hervorbringt, deren Gründer dann ganz neu aufsteigen können von den Normalos in den Club der Reichen. Eine Wirtschaft, die feststeckt. Damit könnte man übrigens auch den immer höheren Anteil ererbter Vermögen erklären.

Können wir das ändern? Das ist eine interessante Frage. Rezo beantwortet sie nicht nur nicht, er stellt sie gar nicht. Aber gut, er findet ja auch: “Wirtschaft ist eh ein bisschen öde.” Welch ein Fehler.

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