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Fitnessstudio: Angespannt

Das Berliner Fitnessstudio, über das einer, der es wissen muss, sagte,
dass dort wirklich alle trainieren, hat rund um die Uhr geöffnet, und man kann ab 25 Euro im
Monat Mitglied werden. Es läuft hart ballernde Rap-Musik, und die Inneneinrichtung ist ein
eklektizistisches Superchaos (verkumpelt-wohnzimmerhafte Sofas, unverputzte Wände, verbeulte
Spinde, Kronleuchter et cetera), das den Betreibern zufolge ein “kosmopolitisches
Lebensgefühl” vermitteln soll.

Und doch hat dieses Studio eine klar erkennbare Ordnung. Es besteht aus zwei Stockwerken:
Unten stehen Geräte wie Crosstrainer, Laufbänder, Beinpressen. Unten geht es nicht nur darum,
einen krassen Körper zu bekommen, sondern auch um Ausdauer und Dinge, die Physiotherapeuten
sinnvoll finden. Unten trainieren Frauen und Männer verschiedenen Alters. Man sieht einige
Schwarze und Asiaten, man hört Expats und Austauschstudenten Französisch, Italienisch oder
Schwedisch sprechen.

Und dann gibt es da unten natürlich noch diese Gruppe von Menschen, die aussehen, wie man
deutschen Menschen nachsagt, typischerweise auszusehen. Jene Menschen haben zumindest in
Deutschland eigentlich keine besonderen Merkmale, denn da sehen ja die meisten aus wie sie. Im
Fitnessstudio
konstituieren sie sich vor allem dadurch als Gruppe, dass sie anders aussehen
als Menschen, die aussehen, wie man sagt, dass Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund
typischerweise aussehen, und das klingt superkompliziert, funktioniert aber praktisch und,
wenn man dafür keine angemessene Sprache zu finden versucht, im Kopf blitzschnell: Die eine
Gruppe (die, die man oben fast ausschließlich trifft) hat schwarze Haare, und die andere
Gruppe (die, die unten sind) nicht. Außerdem verbindet die oben mitunter eine Sprache,
sichtbar große Muskeln und ihr Bodybuilder-Profi-Habitus. Die beiden Gruppen sprechen eher
wenig miteinander.

Das Geschlechterverhältnis betreffend – unten ausgewogen, oben eben überwiegend Männer –
fällt auf, dass es unten einen rosa/lila/pink gehaltenen kleinen Raum mit einer Tür gibt, an
dessen Wand vier Buchstaben angebracht sind: GIRL. Der ist aber nur so mittel besucht. Nicht
weit entfernt davon sind die Fitnessfahrräder, auf einem sitzt an diesem Vormittag eine ältere
Dame, die mal deine Lehrerin gewesen sein könnte und die beim Training Zeruya-Shalev-Romane
liest. Die Musik ist laut
(All the Stars
von Kendrick Lamar und SZA), der Beat lässt
die grauen Haare der älteren Dame erzittern, aber sie radelt tapfer weiter.

Neben den Fahrrädern, auf denen man nirgendwohin fährt, stehen Rudergeräte, wie man sie aus
der Netflix-Serie
House of Cards
kennt (Kevin Spacey setzte sich da immer drauf, als
er noch mitspielen durfte, und ruderte besonders ehrgeizig, wenn es Ärger im Weißen Haus gab).
Zwei Teenager-Mädchen rudern ein bisschen nebeneinander her, müssen dann aber doch Pause
machen, um sich Dinge auf dem iPhone zu zeigen. “Boah, ey, LOL”, sagt die eine, “sie will
Deutsch-Leistungskurs machen und kann nicht mal Nagelmodellage richtig schreiben.” Die
Trainingskleidung der beiden hat die gleichen Farben wie der Fitnessraum für Frauen und
besteht aus einem Bustier und schwarzen Leggings, die Nike-Schuhe sind pink. Angeklebte
Wimpern, gemachte Fingernägel mit einem Glitzer-Schwerpunkt, auf einer der beiden ebenfalls
glitzernden iPhone-Hüllen steht:
“Put on some lipstick and pull yourself together”.

Eine junge Frau (Dreads, verwaschenes graues T-Shirt, Jutebeutel mit dem Aufdruck einer
Universitätsbibliothek) kommt hinzu und nimmt ebenfalls eines der Rudergeräte in Betrieb.
Vorher platziert sie eine grüne Tupperdose mit Nüssen und eine Trinknachfüllflasche in
Reichweite. Sie beginnt zu rudern und sieht nach vorne auf einen Fernseher, weil auf dem
unteren Stockwerk in Sichtweite eines jeden Geräts Fernseher angebracht sind, es gibt also
insgesamt richtig viele Fernseher. Man rudert, radelt, rennt, steigt Treppen, und dabei guckt
man einen Fernseher an, der Motivationsfilme zeigt, nämlich Rennradfahrer, die durch
Berglandschaften fahren, oder Klippenspringer oder Snowboarder. Schöne, energische Körper, die
sich freudestrahlend in schönen Naturlandschaften verausgaben, und man hat dann eigentlich
keine Wahl, man sieht die Batterien von Fitnessgeräten, auf denen nebeneinander schweigend
Menschen sitzen und die immer gleichen Bewegungen ausführen, während sie mit ausdruckslosen
Gesichtern Filme gucken, die ihnen zeigen, was für Wahnsinnsmenschen sie sein könnten, wenn
sie nur regelmäßig trainierten.

Man kann also, auf einem Trainingsgerät sitzend und diese komplett autistische, ja
dystopische Fitnessperformance vor Augen, nicht anders, als sich zu fragen, wer einen hier
gerade eigentlich konkret verarscht, aber das zieht man als kosmopolitischer Kopf natürlich
nicht lange durch, diesen zivilisationskritischen Ansatz, denn man weiß ja, dass Berlin weder
Berge noch Klippen hat, von denen man runterspringen könnte, außerdem kostet so ein
Echt-Natur-Erlebnis Zeit, Zeit, die man als Kosmopolit einfach nicht hat, und wenn man ehrlich
ist, ist diese frische Luft doch auch eine ziemliche Nervensäge und Künstlichkeit eigentlich
ganz geil.

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