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Deutschland 70 / 30 : Verurteilt zur Demokratie

70 Jahre Grundgesetz, 30 Jahre Mauerfall: ZEIT ONLINE widmet den Jubiläen dieses Jahres die Serie “Deutschland 70/30”.

Heute, 70 Jahre nach seinem Inkrafttreten, gilt das deutsche Grundgesetz als Erfolgsgeschichte. Ja, als Exportschlager, als etwas, auf das hierzulande viele stolz waren und sind, wie Umfragen seit Jahrzehnten zuverlässig zeigen. Nach der NS-Zeit und dem Holocaust war ein positiv besetzter Nationalstolz, wie andere Staaten Europas ihn kennen, in Deutschland undenkbar geworden. Als Verfassungspatrioten hingegen ließen sich viele Deutsche in der noch jungen Bundesrepublik durchaus gerne bezeichnen. Das Grundgesetz, jenes relativ eilig fabrizierte Provisorium einer Verfassung, erwies sich als integrierend und langlebig.

Dabei hatten die Westdeutschen eine solche Art von Verfassung ursprünglich partout nicht haben wollen: Der Zweite Weltkrieg hatte 1945 mit der bedingungslosen Kapitulation des
Deutschen Reiches geendet. Das Land war in vier Besatzungszonen
aufgeteilt, verwaltet von den Siegermächten. Die westlichen Alliierten
(USA, Großbritannien und Frankreich) hatten den Parlamentarischen Rat,
eine Art Vorparlament, aufgefordert, eine Verfassung zu erarbeiten.

Die westdeutschen Politikerinnen und Politiker sträubten sich anfangs regelrecht gegen diesen Auftrag der Alliierten. “Feiglinge” nannte sie der US-Militärgouverneur Lucius D. Clay. Er konnte nicht verstehen, dass die großzügig in Aussicht gestellte Rückerlangung der Souveränität nach dem verlorenen Krieg auf derart beharrlichen Widerwillen stieß.   

Auf Grundrechte verzichten?

Die Sorge vieler Westdeutschen war, dass durch die in einer Verfassung dokumentierten Souveränität die Teilung Deutschlands zementiert würde. Die meisten der 61 Politiker und vier Politikerinnen des Parlamentarischen Rates wollten anfangs allenfalls eine provisorische Rechtsordnung formulieren.

Auf Grundrechte – und auch auf eine eigene westdeutsche Hauptstadt, jetzt, da Berlin in der Ostzone lag und seinerseits geteilt war – sollte man dabei besser verzichten, lautete beispielsweise die Position der SPD. Andernfalls würde das Verfassungsprovisorium aufgewertet und die ostdeutsche Besatzungszone aufgegeben. Auch im ersten Entwurf der Bayerischen Staatsregierung für eine neue deutsche Verfassung waren keine Grundrechte aufgeführt. Die Bayern wollten als Bundesland keine Macht an eine Zentralregierung abgeben. 

Aber es half nichts. Die Deutschen “waren zur Demokratie verurteilt”, wie es der Jurist und Politikjournalist Christian Bommarius formuliert, Autor einer lesenswerten Geschichte des Grundgesetzes. Die Alliierten verdonnerten gewissermaßen die Ministerpräsidenten der westdeutschen Bundesländer, die nach dem Krieg als erste politischen Einheiten wieder entstanden waren, einen Verfassungsentwurf zu erarbeiten. Diesen Entwurf beriet und überarbeitete von September 1948 bis Mai 1949 der Parlamentarische Rat in Bonn, dessen Vertreterinnen und Vertreter von den Landtagen gewählt worden waren.

Am Ende stand unser bis heute bestehendes Grundgesetz. Schon der Name – ein Begriff, der damals allenfalls in Fachkreisen bekannt war – zeugte vom unprätentiösen, fragmentarischen Charakter, den die Gründerväter und -mütter dieser neuen Grundordnung zuweisen wollten. 

Gegen den ursprünglichen Willen der Alliierten wurde es nicht vom Volk in einer Abstimmung legitimiert, sondern lediglich vom Parlamentarischen Rat und den Landtagen ratifiziert. Alles andere als einstimmig, wohlgemerkt. Die CSU lehnte es letztlich ab, was andere Politiker mit Pfui-Rufen kommentierten.

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