/Täuschte Berlins Finanzsenator seine eigene Partei?

Täuschte Berlins Finanzsenator seine eigene Partei?

Zwei Monate nach dem SPD-Parteitag wird Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) nochmals von seinem eigenen Parteitagspapier zum Thema „Lehrerverbeamtung“ eingeholt. Drei Berlin-Brandenburger Bildungsexperten werfen ihm vor, seine Parteifreunde vor der entscheidenden Abstimmung mit irreführenden oder sogar falschen Angaben versorgt zu haben. Jetzt haben sie die entscheidenden Kritikpunkte in einem offenen Brief (hier können Sie den Brief als PDF lesen) zusammengefasst und an die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus geschickt.

Im Kern lautet der Vorwurf, dass Kollatz die Ergebnisse der Nicht-Verbeamtung schönrechnet, um das Festhalten an diesem Berliner Sonderweg auch ökonomisch zu rechtfertigen. Zudem verharmlose er die Auswirkungen auf den Lehrermangel. Bei den drei Verfassern handelt es sich um frühere Berliner Gewerkschafter, die später hohe Posten im Potsdamer Bildungsministerium bekleideten.

Um zu belegen, wie viele Lehrer verloren gehen, weil Berlin ihnen den attraktiven Beamtenstatus vorenthält, verweisen Reiner Fahlbusch, Andreas Vollbracht und Sönke Harm Pörksen auf Hamburg: „Während dort in den beiden letzten Jahren rund drei Prozent der eingestellten Lehrkräfte Seiteneinsteiger waren, lag dieser Anteil in Berlin jeweils bei über 40 Prozent“, schreiben sie. Überschlägig sei davon auszugehen, dass Berlin durch den einseitigen Ausstieg aus der Verbeamtung in den letzten sechs Schuljahren mindestens 4500 Lehrkräfte verloren habe.

Bildungsexperten kritisieren zu hohen Ansatz von Pensionskosten

Als „grob irreführend“ bezeichnen die Experten Kollatz’ Gegenüberstellung der Ruhegehaltsansprüche von Beamten und Angestellten. Sie werfen ihm vor, dass er auf dem Parteitag den maximal möglichen Pensionssatz von 71,75 Prozent des letzten Gehalts zugrunde legte, obwohl Lehrkräfte mit Beamtenstatus in Berlin im Durchschnitt eine Versorgung von nur 60 Prozent erreichen: Dadurch habe Kollatz den Parteitagsdelegierten viel zu hohe Pensionskosten vorgegaukelt.

Nach einem ähnlichen Muster – nur mit umgekehrten Vorzeichen – verfuhr der Finanzsenator bei den Angaben zu den Versorgungsansprüchen der Tarifbeschäftigten: Diese stellte er extrem niedrig dar, indem er nur die normalen Rentenansprüche, nicht aber die Leistungen der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) benannte, obwohl sie die Rente um knapp die Hälfte erhöhen.

Nicht nur irreführend, sondern sogar „falsch“ sei Kollatz’ Behauptung, dass durch die Rückkehr zur Verbeamtung nur kurzfristige Einsparungen entstünden. Richtig hingegen sei, dass für einen Zeitraum mehrerer Jahrzehnte ein zweistelliger Milliardenbetrag anfalle, da für die Beamten keine Sozialabgaben gezahlt werden müssten. Dieser Betrag kann zur Reduzierung der Verschuldung genutzt werden. Die Verfasser fragen Kollatz, warum er sich „nicht die Mühe macht, sich mit diesen Berechnungen auseinanderzusetzen“, die sie ihm schon seit über zwei Jahren immer wieder vorgelegt hätten.

Der Finanzsenator regiert grundsätzlich nicht auf offene Briefe

Kollatz’ Sprecherin Eva Henkel sagte am Mittwoch, dass der Senator grundsätzlich nicht auf offene Briefe reagiere. Allerdings habe sich die Finanzverwaltung 2018 mit einer Eingabe von Fahlbusch, Vollbracht und Pörksen im Petitionsausschuss befasst. Damals hatte Kollatz’ Staatssekretärin Margaretha Sudhof dargelegt, dass die drei Experten die Pensionsrückstellungen und die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ungenügend berücksichtigt hätten – was diese jedoch bestreiten.

Wie aber reagiert die SPD-Fraktion auf die Behauptung, der Finanzsenator habe die Genossen beim Parteitag „irreführend“ oder sogar „falsch“ informiert. Die bildungspolitische Sprecherin Maja Lasic sagte am Mittwoch auf Anfrage, haushalterische Gesichtspunkte seien beim Parteitag „nachrangig“ gewesen. Daher gehe sie nicht davon aus, dass Kollatz’ Ausführungen ausschlaggebend dafür waren, dass es keine Mehrheit für die Verbeamtung gab.

Lasic und Fraktionschef Raed Saleh fordern dringend die Rückkehr zur Verbeamtung, um Berlins Lehrermangel zu dämpfen. Sie hatten beim Parteitag lediglich erreicht, dass es eine „ergebnisoffene Prüfung“ geben soll. Die Delegierten hatten Ende März mit deutlicher Mehrheit von 129 zu 108 Stimmen gegen eine neuerliche Verbeamtung von Lehrern votiert.

Inzwischen habe es die erste Koalitionsrunde zum Thema gegeben, berichtet Lasic. Es werde einen „Fragenkatalog“ an die Verwaltung geben. Mit den Antworten werde sich die Fraktion „kritisch auseinandersetzen“. Lasic geht davon aus, dass Berlin in den kommenden zehn Jahren weitere 4000 Lehrer verlieren wird. Sudhoff hingegen hatte dem Petionsausschuss geschrieben, dass „Auswirkungen der Nichtverbeamtung von Lehrkräften auf die Gewinnung von qualifiziertem Personal auch unter Nutzen-Kosten-Gesichtspunkten nicht erkennbar“ seien.

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