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Sebastian Kurz: Die Leere der Macht

Während drüben, auf der anderen Seite der Wiener Ringstraße, Sebastian Kurz um seine politische Zukunft kämpft, lässt sich Erhard Busek auf eine Bank im Café
Imperial fallen. Es ist Montagmittag, Tag drei nach dem Beginn von Ibiza-Gate, noch am selben
Abend wird die Regierungskoalition zwischen der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) und den
sogenannten Freiheitlichen, der FPÖ, endgültig zerbrechen. Der Bundeskanzler wird einen
Wahlkampfauftritt in Linz kurzfristig absagen und der frühere Präsident Heinz Fischer darüber
sprechen, ob sich Österreich in einer “Staatskrise” befindet.

Busek verstaut seinen Gehstock unter der Bank, bestellt zwei Eier im Glas und sagt: “Ohne den Kurz und dessen Strategie hätte die ÖVP nie den Bundeskanzler stellen können.” Aber, fährt er sogleich fort: “Ich bin kein besonderer Freund der Kurz-Linie. Ich stamme aus einer anderen Generation, diese Art, Politik zu machen, das ist nicht mehr meins.”

Erhard Busek ist jetzt 78, ein verschmitzter älterer Herr, in den 1990er-Jahren war er einmal Vizekanzler und stand selbst fünf Jahre lang an der Spitze der ÖVP. Jener Partei also, die Kurz vor zwei Jahren im Handstreich übernommen hat, bevor er mithilfe der FPÖ Bundeskanzler wurde. Busek ist noch immer gut vernetzt, auch mit Kurz hat er in den vergangenen Monaten mehrfach gesprochen. Es geht ihm wie vielen, vor allem Älteren, in der ÖVP: Mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Bewunderung verfolgt er den Balanceakt des jungen Kanzlers.

Sebastian Kurz war immer der Jüngste. Er ist mit 24 Jahren Staatssekretär geworden, mit 27 Außenminister, mit 31 Kanzler. In der nächsten Woche könnte er auch zum jüngsten Ex-Kanzler aller Zeiten werden, mit 32. Entzieht das Parlament dem Regierungschef das Vertrauen, müsste Bundespräsident Alexander van der Bellen einen neuen, möglichst parteiunabhängigen Kanzler ernennen. Dieser würde vorübergehend die Geschäfte führen, bis im September neu gewählt wird. Es wäre ein Novum in der österreichischen Nachkriegsgeschichte.

Welche Verantwortung trägt Sebastian Kurz für diese Eskalation? Hätte er nicht wissen müssen, was es bedeutet, radikale Politiker wie Heinz-Christian Strache und Herbert Kickl mit höchsten Staatsämtern zu betrauen? Der eine war bislang Vizekanzler und in einer Villa auf Ibiza offensichtlich dazu bereit, wesentliche Teile des Landes an eine vermeintlich russische Investorin zu verscherbeln. Der andere fantasiert offen darüber, das Recht der Politik zu unterwerfen; ausgerechnet er zeichnete als Innenminister für die Geheimdienste verantwortlich.

Die Krise, die sich nun in Österreich ausbreitet, weist über das Land hinaus. Denn Kurz’ kometenhafter Aufstieg diente einer ganzen Generation junger europäischer Konservativer als Blaupause. In der CDU verfolgte etwa Jens Spahn voller Bewunderung, wie der Österreicher in der Flüchtlingskrise des Jahres 2015 Angela Merkel die Stirn bot. Kurz war damals noch Außenminister und inszenierte sich als Alternative zur “Flüchtlingskanzlerin” – der Mann, der die Balkanroute schloss. Mit diesem Kapital hat er gewuchert, aus dieser Festlegung folgte alles Weitere: ein unappetitlicher Wahlkampf in Österreich, der sich fast ausschließlich um Migranten drehte; schließlich die Koalition mit der FPÖ, einer überwiegend fremdenfeindlichen, in Teilen rechtsextremen Partei.

Hätte Kurz dieses Bündnis nie eingehen dürfen, wie es ihm seine innerparteilichen Kritiker nun vorhalten? Oder musste er es wagen, um den scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg der FPÖ zu stoppen? Als Kurz sich im Mai 2017 an die Spitze der ÖVP setzte, sah es so aus, als könnte die FPÖ bald stärkste Partei werden. Nur, wie weit kann man das politische Feld nach rechts außen verschieben, ohne dass die Demokratie selbst daran Schaden nimmt? In der kleinen Republik Österreich wird gerade eine der großen Fragen der europäischen Politik verhandelt.

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