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Islamunterricht: Wie ich meine Frömmigkeit beweisen musste

Was bedeutet es, wenn Schülerinnen Kopftuch tragen? Oder wenn sie im Unterricht fasten? Und wie erzieht ein Muslim sein Kind in einer christlichen Umgebung? Mansur Seddiqzai arbeitet als Gymnasiallehrer im Ruhrgebiet. Unter anderem im Islamischen Religionsunterricht spricht er mit seinen Schülerinnen und Schülern über Diskriminierung, Nationalismus oder Antisemitismus. Diesmal denkt er über das Beiratsmodell für den islamischen Religionsunterricht in Nordrhein-Westfalen nach.

Im Jahr 2015 musste ich öffentlich meine Frömmigkeit beweisen – weil ich islamischer Religionslehrer werden wollte. Das Schulministerium in Nordrhein-Westfalen hatte 2011 das Fach Islamischer Religionsunterricht nach dem Vorbild des christlichen eingeführt, also konfessionsgebunden. Deshalb erteilen nun, angelehnt an das kirchliche Modell, vor allem Vertreter von Islamverbänden in einem islamischen Beirat eine gewissensbasierte Lehrerlaubnis für die angehenden Religionslehrer – die sogenannte Idschaza.

Mein Gespräch fand in einem muslimischen Frauenverein in Köln statt. Nur eine Straßenabbiegung vom Pascha, Europas größtem Bordellkomplex, entfernt, saß ich einem Komitee von vier Frauen mit Kopftuch gegenüber. Ich sollte eine kurze Koransure aufsagen und eine Seite aus dem Koran vorlesen. Wie ich den Koran auslege, welche theologischen Ansichten ich teile – danach fragten meine Prüferinnen nicht. Dabei hat das Rezitieren von Koransuren nichts mit dem späteren Beruf zu tun. Es ist lediglich ein Indikator dafür, ob die Anwärter in einer Moschee im Koranunterricht waren. Und das interessiert vor allem die konservativen islamischen Verbände, weil sie damit ein traditionelles Glaubensverständnis verbinden.

Am 31. Juli 2019 läuft der Modellversuch für den Islamischen Religionsunterricht in Nordrhein-Westfalen aus und ein neues Gesetz muss her. Klar ist: Das Modell muss reformiert werden. Auch in anderen Bundesländern werden die Modellversuche überdacht.

Die entscheidende Frage bleibt jedoch: Wer hat in Deutschland eigentlich die Befugnis, die Gläubigkeit von Muslimen zu beurteilen? Da es im Islam keine Kirche und keinen Katechismus gibt, wurde in Nordrhein-Westfalen ein islamischer Beirat dafür eingerichtet. In einem Gespräch müssen die zukünftigen Islamlehrerinnen und -lehrer die Mitglieder überzeugen, dass sie “den Religionsunterricht in Übereinstimmung mit der islamischen Lehre glaubwürdig […] erteilen und in der persönlichen Lebensführung die Grundsätze des Islam […] beachten”, so heißt es offiziell. Was bedeutet das konkret? Tatsächlich gibt es “die islamische Lehre” so nicht. Der Islam ist theologisch genauso vielgestaltig wie das Christentum, weshalb es an deutschen Schulen keinen einheitlichen christlichen Religionsunterricht gibt, sondern katholischen und evangelischen.

Hinzu kommt, dass es für eine Idschaza selbst im traditionellen Islam kaum ein Vorbild gibt. Das Aussprechen des Glaubensbekenntnisses ist theologisch ausreichend, um einer muslimischen Gemeinde anzugehören. Wer ein theologisches Studium hat, darf auch unterrichten. Manchmal wird auch einfach aus der Mitte der Gemeinde jemand ausgewählt, dem man das Unterrichten zutraut.  Die Frömmigkeit eines anderen zu beurteilen ist jedenfalls im Islam heikel. Jemandem gar die Gläubigkeit abzusprechen, gilt vielen Muslimen sogar als Sünde. Wer, außer Gott, könne schon wissen, was im Kopf oder im “Herzen” eines Menschen vorgeht?

Das vorläufige Idschaza-Gespräch in der Ditib-Moschee

Während meiner Fortbildung zum Islamischen Religionslehrer musste ich mich bereits um eine vorläufige Idschaza bewerben, damit ich schon während der Ausbildung unterrichten durfte. Erstaunlich war auch dieser Ort: die Ehrenfelder Ditib-Zentralmoschee. Warum muss ich als deutscher Beamter meine deutsche Lehrerlaubnis für deutschen islamischen Religionsunterricht in einer halbstaatlichen türkischen Institution erhalten?

Dieses erste Gespräch dauerte jedoch nur wenige Minuten. Ich wurde oberflächlich nach meiner Motivation gefragt und dann durchgewunken. Ich denke, dass mir mein “islamisches” Äußeres, insbesondere der lange Bart, geholfen hat. Andere Bewerberinnen und Bewerber mussten sich deutlich länger beweisen. Vor dem endgültigen Idschaza-Gespräch haben viele große Angst. Denn die Kriterien, nach denen geprüft wird, sind intransparent und verunsichern die Lehrkräfte.

Der Beirat in Nordrhein-Westfalen hat mit dem Professor für islamische Theologie Mouhanad Khorchide bisher nur einen liberalen Vertreter. Er lehnt Koranrezitationen in den Auswahlgesprächen ab und setzt dafür auf theologische Reflexion. Laut eigener Einschätzung wohnt er allerdings nur etwa der Hälfte aller Idschaza-Gespräche bei. Nach dem Verzicht der Ditib auf ihren Sitz im Beirat in Folge der Spitzelvorwürfe steht er im Beirat nun sechs Mitgliedern gegenüber, die eher dem konservativem Spektrum zuzuordnen sind. Ein Mitglied des Beirats, die deutsche Konvertitin und Lehrerin im Ruhestand Eva El-Shabassy, erklärte sogar einmal öffentlich, dass Ehebruch ein “Verbrechen wie Mord” sei. Das war allerdings vor ihrer Zeit im Beirat.

Immerhin fünf der derzeit sieben Beiratsmitglieder sind Frauen. Eine fortschrittliche Frauenquote. Aber alle tragen sie Kopftuch. Damit repräsentieren sie nur gut 30 Prozent der muslimischen Frauen in NRW. Einige meiner Mitbewerberinnen haben mir erzählt, dass sie deshalb untereinander diskutierten, ob sie für das Idschaza-Gespräch ein Kopftuch aufziehen sollten, obwohl sie im Alltag keines tragen.

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