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EuGH: Wie man in Deutschland arbeitet

Gerade mal eine Woche ist es her, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit seinem Urteil zur Arbeitszeiterfassung für Aufsehen sorgte: Arbeitgeber müssen die Arbeitszeit ihrer
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
in einem objektiven,
verlässlichen und zugänglichen System vollständig erfassen, lautete ihr Beschluss. Muss das deutsche Arbeitszeitgesetz nun aufgrund des Urteils geändert werden? Die Bundesregierung streitet darüber. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sagt, die geltenden Regeln reichten aus, um die tägliche Arbeitszeit zu erfassen. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hingegen schließt eine Gesetzesänderung nicht aus.

Unabhängig vom aktuellen Urteil wird in Deutschland allerdings schon länger darüber diskutiert, die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes zu lockern – der Spruch des EuGH könnte nun einen zusätzlichen Impuls dazu liefern. Konkret geht es etwa um die Regel, nach der zwischen Beginn und Ende der Arbeit mindestens elf Stunden Pause liegen müssen: Viele Unternehmer wünschen sich mehr Flexibilität. Aber auch manche Arbeitnehmer, zum Beispiel junge Eltern, möchten manchmal abends zu Hause noch Arbeit erledigen, wenn ihre Kinder im Bett sind, und am kommenden Morgen trotzdem früh wieder am Arbeitsplatz sein.

Bisher müssen die Arbeitgeber in Deutschland nur die Überstunden ihrer Beschäftigten dokumentieren – was freilich kaum möglich ist, ohne auch Beginn und Ende der regulären Arbeitszeit zu kennen. In der Praxis aber schreiben viele ihre Zeiten nicht auf. Andere haben Schichtdienste und können gar nicht anders, als Arbeitsbeginn und -ende zu dokumentieren. Ein paar Zahlen, die Aufschluss über die betrieblichen Gepflogenheiten in Deutschland geben:


© Felix Kästle/dpa


1.356


Arbeitsstunden jährlich


leistete ein Erwerbstätiger oder eine Erwerbstätige im Jahr 2017 in Deutschland im Schnitt.

Die Deutschen arbeiten immer weniger – zumindest, wenn man sich die statistischen Durchschnittswerte anschaut. Betrachtet man Selbstständige und abhängig Beschäftigte gemeinsam, so ist die jährliche durchschnittliche Arbeitszeit pro Person seit dem Jahr 1992 um fast 13 Prozent auf 1.356 Stunden gesunken. Der wichtigste Grund für den Rückgang ist, dass
immer mehr Menschen Teilzeit arbeiten.
Die Zahl der Erwerbstätigen hingegen ist von 1992 bis 2017 stetig gestiegen. Das ergibt sich aus dem Datenreport
2018
des Statistischen Bundesamts
(Destatis). 

Die allermeisten Erwerbstätigen, rund 90 Prozent, sind
abhängig beschäftigt. Das Institut für
Arbeitsmarkt- und Berufsforschung IAB
hat nur für sie allein ausgerechnet, wie viele Stunden jeder Arbeitnehmer und jede Arbeitnehmerin im Jahr 2017 gearbeitet hat: Es sind durchschnittlich 1.282 pro Person. 


© Felix Kästle/dpa


11,5 Millionen


Menschen


hatten in Deutschland im Jahr 2016 eine Teilzeitstelle inne.

Die Zahl der Teilzeitbeschäftigten steigt. 28 Prozent aller Erwerbstätigen arbeiteten im Jahr 2016 dem Destatis-Datenreport zufolge Teilzeit; zehn
Jahre zuvor waren es noch 25,9 Prozent gewesen. Frauen reduzieren ihre Arbeitszeit besonders oft, die meisten aus familiären Gründen. 47 Prozent der Frauen arbeiten Teilzeit, aber nur elf Prozent der Männer. Und Männer arbeiten in der Regel weniger als Vollzeit, um sich beruflich weiterzubilden. Sie wollen sich also nicht mehr um die Familie kümmern, sondern um die Karriere. 

Etwas mehr als ein Zehntel der Teilzeitbeschäftigten in
Deutschland würde gerne Vollzeit arbeiten, findet aber keinen ganztägigen
Arbeitsplatz. Umgekehrt wünschen sich viele Männer und Frauen in Vollzeit, ihre
Arbeitszeit zu verkürzen, wie sich aus dem Report Arbeitswelt im Wandel 2018 der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
ergibt (BAuA)
.


© Thomas Lefebvre/unsplash.com


48


Stunden pro Woche


ist die maximal erlaubte Arbeitszeit, Überstunden eingeschlossen.

Die europäische Arbeitszeitrichtlinie – die auch für Deutschland bindend ist – schreibt vor: Mehr als 48 Stunden Wochenarbeitszeit im Durchschnitt sind nicht erlaubt. Warum spricht man hierzulande dann viel häufiger von einer 40-Stunden-Woche? Weil viele Tarifverträge die 40 Stunden als wöchentliche Arbeitszeit festlegen.

Das deutsche Arbeitszeitgesetz gibt auch vor, dass keiner durchschnittlich mehr als acht Stunden an Werktagen arbeiten darf. Vorübergehend sind maximal zehn Stunden erlaubt. Werktage sind die Tage von Montag bis einschließlich Samstag; der Sonntag ist grundsätzlich ein Ruhetag. Zwischen dem Ende eines Arbeitstags und
dem Beginn des nächsten müssen mindestens elf Stunden ununterbrochene Ruhezeit liegen. Ausnahmen sind möglich.


© Fabian Sommer/dpa


25 Prozent


der Erwerbstätigen


arbeiteten im Jahr 2016 abends, also zwischen 18 und 23 Uhr.

Wie der Destatis-Datenreport zeigt, ist der Anteil der Menschen, die abends arbeiten, in den vergangenen 20 Jahren stark gestiegen: 1996 waren es nur 18 Prozent. Ein Grund für den Anstieg auf 25 Prozent dürfte die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten sein.

Auch nachts nach 23 Uhr oder an den Wochenenden arbeiten mehr Menschen als früher. Der Anteil der Erwerbstätigen, die ständig oder regelmäßig
nachts arbeiten, stieg zwischen 1996 und 2016 leicht von sieben auf
neun Prozent. Männer arbeiten deutlich häufiger nachts als Frauen.   

An Sonntagen arbeiteten 14 Prozent, etwas mehr als noch 20
Jahre zuvor. Deutlich mehr Erwerbstätige arbeiten allerdings an
Samstagen: 25 Prozent. Und rund 13 Prozent arbeiteten ständig oder
regelmäßig an beiden Tagen
des Wochenendes.

Zudem gaben elf Prozent der Menschen, die Vollzeit arbeiten, im Jahr 2016 an, gewöhnlich mehr als die höchstens zulässigen 48 Stunden pro Woche zu arbeiten. Es sind vor allem Männer. Unter Führungskräften liegt die Quote sogar
bei 35 Prozent.


© Bethany Legg/unsplash.com


45 Prozent


aller abhängig Beschäfigten


haben nur wenig Einfluss auf Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit.

Je mehr Einfluss Beschäftigte auf ihre Arbeitszeit haben, desto
zufriedener sind sie. Doch fast die Hälfte, 45 Prozent, kann ihre tägliche Arbeitszeit kaum verändern. Nur 38 Prozent sagen, sie hätten viel Einfluss auf Beginn und Ende ihrer täglichen Arbeitszeit. Das geht aus dem BAuA-Report Arbeitswelt im Wandel 2018 hervor.

Etwas besser scheinen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gestellt, wenn es um ihre Pausen oder freien Tage geht. Hier sagten jeweils mehr als die Hälfte der Befragten, sie hätten viel Einfluss.

Besonders unflexibel ist der Schichtdienst. Dem BAuA-Report zufolge arbeiteten im Jahr 2016 fast 16 Prozent aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Schichten. Unter den Männern
waren es 17,5 Prozent, unter den Frauen 13,9 Prozent.

In einer Befragung im Auftrag des Bundesarbeitsministeriums
gaben 37 Prozent der Beschäftigten an, sie seien unzufrieden damit, wann sie arbeiten. Wer abends, nachts oder am Wochenende arbeitet, wer außerhalb der Arbeitszeit
erreichbar sein muss, im Schicht- oder Bereitschaftsdienst steckt oder anderweitig starre Arbeitszeitregeln in Kauf nehmen muss, wünscht
sich besonders häufig, die Lage der Arbeitszeit zu verändern
.


© Frank Rumpenhorst/dpa


1,075 Millionen


Überstunden


leisteten die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland im Jahr 2018 unbezahlt.

Die Zahl der Überstunden, ob bezahlt oder unbezahlt, ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Das ergab die Arbeitszeitrechnung
des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung IAB
. Das Volumen an
bezahlten Überstunden war mit 1,077 Millionen etwa gleich hoch wie die der unbezahlten. Je Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer
entspricht das durchschnittlich 53 Überstunden im Jahr, die Hälfte davon
unbezahlt.

Viele Menschen arbeiten auch sonst mehr, als sie müssten: 37 Prozent der
abhängig Vollzeitbeschäftigten haben im Jahr 2010 den
ihnen zustehenden Urlaub nicht komplett genommen. Das ergibt sich aus einem Wochenbericht
des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung DIW
. Im Durchschnitt
blieben so drei Urlaubstage je Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer ungenutzt – das
mag wenig klingen, aber es sind immerhin zwölf Prozent des gesamten
Anspruchsvolumens. 

Vor allem Jüngere, Beschäftigte in kleinen Betrieben und
Personen mit kurzer Betriebszugehörigkeit nutzen ihren Urlaubsanspruch oft
nicht voll aus. Auszubildende nehmen sogar im Durchschnitt sieben Urlaubstage
pro Jahr nicht in Anspruch.

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