/“Aladdin”: Die globale Wunderlampe

“Aladdin”: Die globale Wunderlampe

Spätestens wenn der
computeranimierte Teppich über die Dächer Agrabahs saust und das Liebespärchen
einander A whole new world entgegen schmachtet, ist klar: Jetzt werden nicht
nur die Träume von Aladdin und seiner schönen Sultansprinzessin wahr, sondern
auch die von Millionen Disney-Fans.

17 Jahre mussten diese auf eine
Neuauflage des Zeichentrickklassikers von 1992 warten. Lange Zeit schien es nicht einmal sicher, ob Disney das Realfilm-Remake mit Will Smith
als blauem CGI-Dschinni überhaupt in die Kinos bringen könnte.
Respektlosigkeit gegenüber dem kulturellen arabischen Erbe hatten Fans dem
Konzern vorgeworfen, als dieser vorsichtig durchblicken ließ, einige Rollen mit
weißen Schauspielern besetzen zu wollen. In mehr als 2.000 Castings suchten die
Produzenten daraufhin nach einem “authentischen” Hauptdarsteller, der neben
Tanz- und Gesangsfähigkeit auch über einen Middle Eastern background verfügen
sollte. Sogar der Drehbeginn musste verschoben werden, bis man mit dem in
Ägypten geborenen kanadischen Schauspieler Mena Massoud schließlich doch noch
fündig wurde.

Wirft man allerdings einen Blick
auf die Geschichte des Märchens, hätten sich die Produzenten den Aufwand auch
sparen können. Denn mit dem Nahen Osten hat das Märchen von Aladdin und
seiner Wunderlampe in etwa so viel zu tun wie König der Löwen mit dem Leben
in der afrikanischen Savanne. Die Geschichte um Straßenjunge und Flaschengeist
beginnt weder an einem osmanischen Sultanshof, noch im Kreis eines ägyptischen
Geschichtenerzählers. Sie beginnt im Paris des Jahres 1704.

Unter dem Namen Les Mille et Une Nuit: Contes Arabes hatte der französische Antiquitätensammler und Orientalist
Antoine Galland mit den ersten drei Bänden seiner französischen Übersetzung von Tausendundeiner Nacht einen Bestseller gelandet. Von einem Aladdin war dort
allerdings noch genauso wenig zu lesen, wie von der Mehrzahl der 1001
Nächte. Denn das handschriftliche Originalmanuskript, das Galland drei Jahre
zuvor auf einer seiner Reisen durch den Nahen Osten entdeckt hatte, brach
nach 282 Nächten abrupt ab.

Aladdin im Film mit Wunderlampe und Teeglas

Aladdin im Film mit Wunderlampe und Teeglas
© Daniel Smith/2019 Disney Enterprises

Um den europäischen Hunger nach
immer neuen orientalischen Märchen zu stillen, griff Galland kurzerhand selbst
zur Feder, dichtete Neues hinzu oder fügte Märchen, die er anderswo gehört hatte,
in die Rahmenhandlung ein. Hilfe bekam er dabei von einem jungen syrischen
Christen namens Hanna Diyab. Der war als Diener und Übersetzer eines anderen
französischen Orientalisten nach Paris gekommen und erweiterte nun gemeinsam mit
Galland das Material. Aus drei Bänden wurden zwölf. Aus 282 Nächten
wurden 1001. Viele der heute bekanntesten Märchen aus Tausendundeiner Nacht
kamen erst jetzt hinzu: Sindbad der Seefahrer, Ali
Baba und die 40 Räuber
und Aladin und die Wunderlampe (in der ersten
deutschen Version noch mit einem “d”).

Historiker sind sich uneins, wie
viel Galland und wie viel Diyab in den Geschichten steckt. Verbirgt sich hinter
den barocken Beschreibungen des Sultanpalasts die kulturelle Prägung Gallands
oder Diyabs Begeisterung für Versailles? Sicher ist: Was die beiden zu Papier
brachten, richtete sich an ein europäisches Publikum. Religiöse Bezüge
verschwanden aus den ursprünglichen Geschichten ebenso wie klassisch arabische
Reimprosa. Erotische Komponenten wurde auf das prüde europäische Maß
zurechtgestutzt, eingestreute Gedichte dem besseren Lesefluss geopfert. Als
Antoine Galland im Jahr 1712 schließlich mit Les
Mille et Une Nuits
die erste Komplettausgabe der weltberühmten Märchensammlung
veröffentlichte, steckte darin mindestens ebenso viel europäische
Orientfantasie wie arabische Erzählkunst.

Was vom arabischen Original
unzweifelhaft blieb, ist die Rahmenhandlung: Die Geschichte der Wesirstochter
Schahrasad, die den Mordgelüsten des grausamen Sultans entgeht, indem sie ihm
jede Nacht ein Märchen erzählt, das immer gerade dann am spannendsten wird,
wenn der nächste Morgen anbricht. Wobei von einem arabischen Original zu
sprechen, auch hier in die Irre führt. Schon die Geschichten, die Galland 1701
von seinen Reisen mitbrachte, waren Produkt eines langen indischen, persischen
und arabischen Literaturaustausches. Über Jahrhunderte wurden die Märchen immer
wieder umgeschrieben, neu interpretiert und erweitert. Bis in die Gegenwart.
Wer heute in einem Buchladen in Damaskus oder Kairo nach Alf Laila wa Laila
fragt, der bekommt mit großer Wahrscheinlich eine arabische Übersetzung des
französischen “Originals” in die Hand gedrückt.

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