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Ibiza-Affäre: Ein Triumph der Aufklärung

Vielleicht
wird man schon bald wissen, wer hinter der illegalen Aufnahme steckt, die die
Karriere des Vizekanzlers Heinz-Christian Strache so abrupt beendete und eine
österreichische Staatskrise ausgelöst hat. Der Satiriker Jan Böhmermann
inszeniert in diesen Tagen und Stunden via Twitter eine Art Countdown, heizt
die Gerüchte an, er sei in den Fall verwickelt. Blufft er? Weiß er tatsächlich
mehr? Oder agiert er lediglich als eine Art Trittbrettfahrer im Aufmerksamkeitsbusiness
und will als Erregungsgewinnler einer hoch nervösen Öffentlichkeit die Quoten
für seine Sendung emportreiben?

Natürlich ist bedeutsam, herauszufinden, wer Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus eine Falle gestellt, sie in eine Villa auf Ibiza
gelockt und ihre Mischung aus angeberhafter Dussligkeit in Tateinheit mit
offenkundiger Korruptionsbereitschaft heimlich gefilmt hat. Waren es politische
Aktivisten, die die Villa verwanzten und die angebliche Nichte eines russischen
Oligarchen in Stellung brachten? Steckt, wie Cicero Online – Vorsicht, keine Satire! – einen ehemaligen Vizepräsidenten
des Bundesnachrichtendienstes dunkel raunen lässt, der Mossad dahinter,
letztlich der Jude, der hinter den Kulissen des Weltgeschehens seinen
unheimlichen Dienst tut? Man kann in diesen Tagen und Stunden, abseits der
Spekulationsblasen in sozialen Netzwerken und in sogenannten alternativen
Medien, eines festhalten: Es ist ein Triumph des analytischen, kühl
recherchierenden Journalismus, der sich derzeit beobachten lässt.

Warum? Man
sieht hier am Beispiel der Süddeutschen, des Spiegel und des Falter: Investigativer Journalismus agiert in den Zeiten einer oft vorschnell-pauschalen Medienskepsis und vor dem Hintergrund eines unbedingt notwendigen Quellenschutzes so transparent wie möglich. Er wählt Informationen aus, betreibt also Gatekeeping, aber zunehmend auch Gatereporting – und liefert so einen Beitrag zur Selbstaufklärung der Mediengesellschaft, orientiert an einem Imperativ, der sich folgendermaßen formulieren ließe: “Handele stets so, dass dein Publikum die Qualität der von dir vermittelten Informationen möglichst umfassend einzuschätzen vermag!”

Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. Zuletzt veröffentlichte er das Buch "Die große Gereiztheit. Wege aus der kollektiven Erregung" im Hanser-Verlag.

Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen.
Zuletzt veröffentlichte er das Buch “Die große Gereiztheit. Wege aus der
kollektiven Erregung” im Hanser-Verlag.

© Peter-Andreas Hassiepen

Welche
Dilemmata sind hier im Spiel? Zum einen geht es um die Abwägung zwischen dem
Persönlichkeitsrecht der Gefilmten und dem öffentlichen Interesse an der
Tatsache, dass sich der Rechtsextremist und 2017 zukünftige Vizekanzler
Heinz-Christian Strache als potenziell bestechlich erweist. Damit ist klar,
auch wenn dies ein twitternder Datenschützer aus Baden-Württemberg womöglich
anders sieht und Zurückhaltung anmahnt, dass hier das öffentliche Interesse an
den Inhalten unter allen Umständen überwiegt.

Zum anderen stehen Journalisten, denen Daten zugespielt werden, vor der Frage: Welche Agenda verfolgen die Informanten, missbrauchen sie womöglich die Presse als willige Helfer für ihre eigenen politischen oder wirtschaftlichen Interessen? Wie vermeidet man eine Instrumentalisierung und tariert die richtige Mischung aus Nähe (nur so erfährt man etwas) und Distanz (nur so bewahrt man professionelle Autonomie) aus? Die an der Enthüllung des Ibiza-Videos beteiligten Journalistinnen und Journalisten haben, soweit sich das von außen beurteilen lässt, vorbildlich agiert. Sie haben die Dokumente selbst geprüft und prüfen lassen, Timing und Tonalität
der Veröffentlichung in Eigenregie entschieden, aber auch über den Prozess der forensischen
Prüfung selbst Auskunft gegeben.

Und schließlich, das ist das dritte Dilemma der
aktuellen Enthüllungen: Was darf, was muss man zeigen? Und was sollte – zum Schutz
der Quelle oder der Betroffenen oder weil es sich sachlich-inhaltlich (noch)
nicht ausreichend erhärten lässt – dann doch unveröffentlicht bleiben? Auch diese
Fragen wurden in den letzten Tagen in Videos und Kommentaren der Redaktionen
diskutiert. Und die an der Aufdeckung beteiligten Journalistinnen und
Journalisten haben ihre Arbeit erklärt, die Wahl der publizierten Filmausschnitte
begründet. Was Strache und sein Kumpan Gudenus – jenseits des vermutlich
strafrechtlich Relevanten – sonst noch so an Gerüchten über sexuelle Eskapaden
und Drogen konsumierende Politiker streuen, bleibt aus gutem Grund dem Publikum
vorenthalten.

Dass es auch anders laufen kann, hat der BuzzFeed-Chefredakteur Ben Smith vorgemacht, als er die
Komplettveröffentlichung eines Enthüllungsdossiers über Donald Trump
rechtfertigte. Aus diesem Dossier eines ehemaligen Mitarbeiters des britischen
Geheimdienstes tropft der Schmutz, sickert das Gift unbewiesener Gerüchte.
Trump habe dubiose Geschäfte mit Russland angebahnt, Prostituierte in einem
Hotelzimmer in Moskau für absonderliche Dienste bezahlt. Ob das stimmt, kann BuzzFeed auch nicht sagen, aber das
Dossier kursiere nun mal, so Ben Smith in einem sagenhaft peinlichen Kommentar
in der New York Times
. Und es könnte
ja wahr sein, vielleicht auch, weil man es selbst glauben will und den Mann im
Weißen Haus gern abschießen möchte.

Noch einmal
und in maximaler Distanz zu dem Aktivismus eines BuzzFeed-Chefredakteurs: Seriöser Journalismus filtert nach dem
Kriterium der sachlichen Richtigkeit und der allgemeinen Relevanz. Er prüft
erst und publiziert später, und zwar unabhängig von eigener Sympathie oder
parteipolitischem Interesse. Es ist die Wirkmacht einer klassischen
Aufklärungsarbeit, wie das Beispiel der aktuellen Enthüllungen zeigt. Heinz-Christian Strache hat den totalitären Traum von einer “Orbánisierung” der
Medienlandschaft geträumt und sich mit seinen FPÖ-Truppen dem Kampf gegen den
unabhängigen Journalismus verschrieben. Er hat ihn verloren. Und das ist alles
in allem eine gute Nachricht.

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