/Beförderung: Warum ich als Chefin oft ungerecht bin

Beförderung: Warum ich als Chefin oft ungerecht bin

Warum sind Chefs eigentlich nie im Büro? Arbeiten die
überhaupt? Welche Vorurteile haben sie? In der zweiten Folge unserer neuen
Serie “Was Chefs wirklich denken” berichtet die Personalchefin
einer mittelgroßen Firma über Entscheidungen, die auf der anderen Seite getroffen werden. Damit
sie wirklich ehrlich sein kann, schreibt sie – wie alle Chefs dieser Serie –
anonym. 

Würde man Menschen fragen, welche Eigenschaft ein idealer
Chef an erster Stelle haben sollen: Es wäre die Fähigkeit, gerechte
Entscheidungen zu treffen. Zumindest höre ich als Chefin im mittleren
Management einer mittelgroßen Firma am häufigsten Klagen über
Ungerechtigkeiten. Manchmal wird eine meiner Entscheidungen sogar als so
ungerecht empfunden, dass Mitarbeiter kündigen. Ich verstehe das, denn der
Wunsch, mit dem was man kann und tut, gesehen und gefördert zu werden, ist
wahrscheinlich eines der wichtigsten Grundbedürfnisse in der Arbeitswelt. Wenn
man das als Vorgesetzter dauerhaft verletzt, werden Menschen unglücklich.

Weil ich als Chefin aber manchmal Entscheidungen
treffe, die nicht alle Beteiligten glücklich machen, höre ich von vielen Klagen:

Meine
Vorgesetzten sehen nicht, was ich für die Firma leiste.

Ich bekomme
nicht die gewünschte Gehaltserhöhung.

Kollegen, die
viel unkreativer sind oder weniger Führungsqualitäten haben, werden gefördert.

Es werden nur
die sichtbar, die durch Buckeln und Kriechen auf sich aufmerksam machen.

Andere bekommen
immer sofort einen Termin bei Ihnen – und ich muss wochenlang warten.

Kollege X
verdient mehr, obwohl er den gleichen Job macht.

Kollegin Y hat
ein Sabbatical genehmigt bekommen und ich nicht.

Kollegin Z
wurde befördert, obwohl ich viel länger im Unternehmen bin.

All diese Beispiele münden in die Frage: Ist das
gerecht? Und ich sage: Nein, das ist es nicht.

“Nichts spielt für die Leistung und die Zufriedenheit der Mitarbeiter eine so wichtige Rolle wie gute Führung.”

Personalchefin einer mittelgroßen Firma

Warum ist es so schwer, als Chefin gerecht zu sein? Nehmen
wir das Beispiel Beförderung. Das ist eine der wichtigsten Entscheidungen, die
Chefs treffen müssen. Denn daran werden vor allem wir selbst gemessen:

Haben wir Mitarbeiter zum richtigen Zeitpunkt
weiterentwickelt? Haben wir uns mit starken Persönlichkeiten umgeben? Hatten
wir ein gutes Auge für Talente? Haben wir die Richtigen befördert? Haben wir Problemkandidaten
als solche erkannt und an Positionen gesetzt, wo sie anderen das Leben möglichst
wenig schwer machen können?

Wenn wiederum mein Chef bei der Beurteilung meiner
Arbeit mehrere dieser Fragen mit Nein beantwortet, ist das für mich nicht gut. Also
tue ich in meinem eigenen Interesse gut daran, die Richtigen zu befördern. Im
Interesse der Firma ist es sowieso: Nichts spielt für die Leistung und die
Zufriedenheit der Mitarbeiter eine so wichtige Rolle wie gute Führung, das
belegen tatsächlich zahlreiche Studien.

Warum also befördere ich Menschen? Zum einen gibt es
da die vermeintlich objektiven Kriterien: die Dauer der Zugehörigkeit zum
Unternehmen (Anciennitätsprinzip), der Arbeitseinsatz (Fleißprinzip), messbare
Erfolge (Leistungsprinzip) und nicht zuletzt die Geschlechtszugehörigkeit
(Genderprinzip). Jede Chefin und jeder Chef sollte diese Prinzipien kennen,
denn wenn zu viele von ihnen verletzt werden, empfinden Mitarbeiterinnen das als
ungerecht. Und selbst wenn man eine ungerechte Entscheidung trifft, darf man
sich auf keinen Fall dabei erwischen lassen, dass man diese Kriterien nicht
einbezogen hat. Dazu gehört auch eine penible Kenntnis aller in diesem
Zusammenhang wichtigen statistischen Werte. Die in solchen Situationen von Betriebsräten
gerne präsentierten, mit Textmarkern bearbeiteten Excel-Tabellen, die zeigen,
wann Mitarbeiter ins Unternehmen eingetreten sind oder zuletzt befördert
wurden, sollte jeder Chef präsent haben, und zwar bevor diese Zahlengräber ihm
oder ihr vorgehalten werden.

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