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Theater: Kunst siegt über den Despoten

Lesen Sie hier das türkische Original. Der Text ist für die deutsche Version redaktionell leicht bearbeitet worden.

In der vergangenen Woche machte ich im Theater eine interessante
Erfahrung. Ich saß im Publikum, und der Schauspieler Neven Nöthig stand auf der Bühne, und er
spielte: mich. Das Bühnenbild: ein goldener Käfig, und dieser Käfig ist Berlin. Ein von ihm
geschriebener Zeitungsbericht hatte den Protagonisten, so das Textbuch, zunächst ins türkische
Gefängnis und dann ins deutsche Exil gebracht. Aus der Ferne verfolgte er nun, wie es in
seinem Land brannte, wie seine Frau (Susanne Kubelka) als Geisel genommen, sein Haus von der
Polizei (Andreas Kunz) durchsucht wurde, seine Bücher verboten wurden. Als die in seinem Land
als Geisel festgehaltene Frau dem Mann im Käfig vorwirft, dass sie wegen ihm den eigenen Sohn
nicht mehr sehen dürfe, hörte ich ringsum Schluchzen. Und natürlich wischte auch ich mir
Tränen aus den Augen.

Christian Scholze, Regisseur am Westfälischen Landestheater, hatte im letzten Jahr beschlossen, mein im Berliner Exil geschriebenes, von Sabine Adatepe übersetztes Buch
Verräter
auf die Bühne zu bringen. Die Erstellung des Skripts, die Auswahl der Darsteller, Proben, Bühnenbild und all das dauerte fast ein Jahr. Letzte Woche nun fand die Premiere des Stücks statt. Das Publikum verfolgte, welch hohen Preis es hat, in der Türkei die Wahrheit zu sagen. Erdoğan lieferte mittels seines Geheimdienstes heimlich Waffen an radikal-religiöse Gruppen in Syrien. Die Personen, die darüber berichteten, unter anderem ich, ließ er wegen “Verrats von Staatsgeheimnissen” verhaften, die Nachricht verbieten. Er glaubte, damit den illegalen Waffenschmuggel vor der Welt verheimlichen und die Sache verschleiern zu können. Das Gegenteil geschah: Die in der Türkei zensierte Nachricht wurde in der ganzen Welt bekannt. Die Nachricht und ihre Folgen wurden zunächst zum Text, dann zum Buch und schließlich als Theaterstück inszeniert.

Jetzt läuft das Stück – mein Stück – in Nordrhein-Westfalen, dann geht es auf Deutschland-Tournee. Später wird es Schulaufführungen mit Gesprächsrunden geben. Junge Generationen werden von einer Nachricht, einem despotischen Regime und dem Engagement dagegen erfahren und darüber diskutieren, was zu tun ist, damit sich so etwas nicht wiederholt. Die Nachricht und den, der sie schrieb, wie auch den, der sie verbot, wird das Theaterstück überleben und bei jeder Aufführung Licht in eine lang andauernde Phase der Finsternis bringen. Einmal mehr triumphiert die Kunst über die Tagespolitik.

Nach der Theaterpremiere letzte Woche gab es stehende Ovationen, und wir gratulierten uns euphorisch hinter der Bühne. Als die Schauspieler am Ende noch einmal auf die Bühne liefen, schien mir das Stück gar nicht vorüber, ich fragte mich, wie das echte Finale wohl aussehen wird.

Was wird aus dem Mann auf der Bühne, aus seinem Land und seiner Familie werden? Wird das Stück eines Tages in der Türkei mit einheimischen Darstellern auf Türkisch aufgeführt werden können?

Wird der Schluss dann ebenfalls lauten: “Nie wieder!”?

Und wann wird es so weit sein?

Aus dem Türkischen von
Sabine Adatepe

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