/Künstler aus dem Osten: “Du kannst an einem Tag etwas Wunderbares schaffen”

Künstler aus dem Osten: “Du kannst an einem Tag etwas Wunderbares schaffen”

Künstler aus dem Osten: Neulich in Leipzig: Michael Triegel (links) empfängt Lukas Rietzschel an seinem Arbeitsplatz.

Neulich in Leipzig: Michael Triegel (links) empfängt Lukas Rietzschel an seinem Arbeitsplatz.
© Christian A. Werner für DIE ZEIT; VG Bild-Kunst, Bonn 2019

Ein warmer Frühlingsmorgen im Leipziger Westen: Hier, in der Baumwollspinnerei, hat der
Maler Michael Triegel sein Atelier. Und hier empfängt er, auf Einladung der ZEIT, den
Schriftsteller Lukas Rietzschel. Triegel, 50, und Ritzschel, 25, stehen für zwei
Generationen ostdeutscher Künstler, beide schätzen die Arbeit des jeweils anderen – aber sie
treffen sich an diesem Tag zum ersten Mal. Sie beginnen sofort ein Gespräch über ihre
Kunst.

DIE ZEIT:
Herr Rietzschel, im vergangenen Jahr ist Ihr Roman
Mit der Faust in die Welt
schlagen

erschienen. Wie lange saßen Sie daran?

Lukas Rietzschel:
Drei Jahre, ungefähr.

ZEIT:
Und wie lange, Herr Triegel, arbeiten Sie an einem Gemälde?

Michael Triegel:
Ein großes Bild kann Monate beanspruchen. Manches, Kleineres, nur Wochen.

Rietzschel:
Neulich beschwerte sich jemand mir gegenüber über einen erfolgreichen Maler, den er gut
kennt. Er sagte: Herr Rietzschel, Sie arbeiten jahrelang an einem Buch, und dieser Typ haut
seine Bilder in 20 Minuten raus – aber verdient damit ein Vermögen! Da habe ich gedacht:
Vielleicht muss ich den Beruf wechseln.

ZEIT:
Kann man den Wert von Kunst an der Zeit bemessen, die es braucht, sie zu erschaffen?

Triegel:
Darauf antworte ich mit einer Anekdote von Picasso. Ein Sammler soll einmal zu ihm gekommen
sein und gesagt haben: Er hätte gerne eine von seinen berühmten Stierzeichnungen. Picasso
entgegnete, er habe zwar keine mehr da – aber er könne eine anfertigen. Also stellte er sich
hin, zack, zack, machte eine Zeichnung und nannte einen hohen Preis. Der Sammler war
schockiert: So viel Geld für ein paar Minuten Arbeit! Aber Picasso entgegnete: Dieses Bild
habe er nicht in drei Minuten gemalt. Er habe ein Leben lang gebraucht, um es so
hinzubekommen!

Rietzschel:
Großartig.

Triegel:
Du kannst an einem Tag etwas Wunderbares schaffen. Oder du fummelst ein Jahr an etwas
herum, das trotzdem Mist wird.

ZEIT:
Herr Rietzschel, muss Literatur eindeutiger sein als ein Gemälde?

Rietzschel:
Im Gegenteil. Wer alles erklärt haben möchte, vergibt sich etwas. Manche Sätze schreibe ich
gerade nicht, weil ich denke: Ach, das erwartet man doch jetzt von mir! Wie ist das bei
Ihnen, Herr Triegel? Haben Sie manchmal Angst, dass jemand sagt: “Ah, hier hat der Triegel
wieder einen Katzenschädel untergebracht”? Kommt man in Versuchung zu denken: Jetzt male ich
gerade etwas anderes; breche mit der Erwartung?

Triegel:
Das ist heikel. Ich will mir die Freiheit bewahren, gerade nicht Dinge aus Trotz zu tun.
Und wenn ich den zehnten Katzenschädel male, einfach weil es notwendig ist, dann ist es gut.
Andererseits lauert da die nächste Herausforderung: Bloß nicht nur deshalb Katzenschädel zu
malen, weil der Kunstmarkt sagt, das läuft gut, Triegel, male die mal weiter! Wenn Kunst nur
noch die Funktion hat, von der finanziellen Potenz des Käufers zu künden, ist das
schrecklich.

Rietzschel:
Es ist wahrscheinlich trotzdem nicht so leicht, sich zu wehren gegen die Erwartungen des
Kunstmarkts. Immer nur das zu machen, was man selbst für richtig hält.

Triegel:
Es wird leichter, je etablierter man ist. Ich hatte ein Erlebnis während des Studiums, da
bekam ich einen Porträtauftrag von einer sehr wohlhabenden Familie. Das war eine
Katastrophe.

ZEIT:
Wieso?

Triegel:
Es gab die Erwartungshaltung: “Jetzt werden wir mal richtig schön gemalt, so schön, wie wir
glauben, dass wir sind.” Die waren beleidigt vom Ergebnis. Ich hätte sagen sollen: Pech
gehabt! Aber den Mut hatte ich nicht. Stattdessen sagte ich: Man kann das ja noch glätten
und hier und da aufhübschen. Am Ende war ich so unglücklich, dass ich mir geschworen habe:
“Auftragsporträts, das machst du nie wieder.” Gut, daran habe ich mich nicht gehalten

ZEIT:
… später haben Sie sogar den Papst porträtiert.

Triegel:
Ja. Aber all meine Porträts entstehen vor dem Hintergrund: Es ist meine Interpretation.
Dafür braucht ein Künstler Souveränität. Der Porträtierte aber auch. Das Kunstwerk muss
eigentlich klüger sein als der Autor. Weil es auch aus meinem Unterbewusstsein kommen muss.
Sonst wäre es
Malen nach Zahlen
und ich nichts als ein Handwerker.

ZEIT:
Und wenn nun die Bundeskanzlerin anruft und fragt, ob Sie ihr Porträt malen?

Triegel:
Könnte interessant sein.
(lacht)

ZEIT:
Was würde dann einfließen ins Bild? Auch die Art, wie Sie ihre politische Arbeit
finden?

Triegel:
Ich glaube, beim Porträt ist das Wichtigste, dass das Gesicht gemalt wird, wie das Leben
gelebt wurde. Ich muss nicht alles über einen Menschen wissen, nur genau hinsehen. Sonst
gucke ich die
Tagesschau,
und am nächsten Tag übersetze ich das politische
Statement in ein Kunstwerk. Das finde ich platt, und das passiert oft genug.

ZEIT:
Was ist ein Beispiel für platte Polit-Kunst?

Triegel:
Ein simples Beispiel wären Pussy Riot

ZEIT:
… die russischen Aktivistinnen, die unter anderem in einer Kirche protestierten.

Triegel:
Genau. Das mag eine wichtige Aktion sein, das können die machen. Aber ob das wirklich Kunst
ist, die auf Dauer trägt? Kunst hat für mich immer etwas mit Reflexion zu tun. Ich kann
nicht sofort reagieren.

ZEIT:
Gilt das auch fürs “Zentrum für politische Schönheit“? Dieses Bündnis hat zum Beispiel das
Holocaust-Mahnmal am Wohnhaus von AfD-Politiker Björn Höcke nachgebaut.

Triegel:
Ich finde schon. Es ist eine Aktion, aber ist es Kunst?

Rietzschel:
Die Kunst leidet in solchen Fällen oft darunter, dass sie auf der richtigen Seite stehen
will. Die Rechten fühlen sich ja gar nicht mehr irritiert davon. Die sagen: “Schaut doch
mal. Das soll Kunst sein? Die macht sich mit dem Staat gemein, mit der herrschenden
politischen und kulturellen Klasse.” Das macht mir wirklich Sorgen: dass man sich wie so ein
Staatskünstler vereinnahmen lässt, obwohl man das ganze Gegenteil erreichen will. Man will
ja kritisch sein!

ZEIT:
Herr Rietzschel, Sie beschreiben in Ihrem Roman eine deutsche, ostdeutsche Jugend zweier
Brüder. Beide erleben die Härten der späten Nachwendezeit. Einer wird Neonazi, der andere
nicht. Erreichen Sie mit Ihrem Roman nicht auch nur Leute, die auf der richtigen Seite
sind?

Rietzschel:
Menschen, die lesen, die überhaupt Kunst rezipieren, sind natürlich eine eher
aufgeschlossene Gruppe. Aber ich versuche, auch andere Schichten anzusprechen. Mein Roman
versetzt sich ja bewusst in ein anderes Milieu hinein. Ich habe kein Interesse, für
irgendein studiertes urbanes Publikum auch studierte urbane Texte zu schreiben. Sondern
wenn, dann möchte ich diesem urbanen Milieu wenigstens zeigen, was es noch gibt auf der
Welt. Vielleicht erreiche ich auch ein paar Leute aus den Milieus, die ich im Buch
beschreibe, weil ich die Leute nicht werte, nicht vorführe. Sondern sie achte.

Triegel:
Hat sich mal jemand gemeldet, der zu diesem Milieu gehört und der sich im Roman
wiedergefunden hat?

Rietzschel:
Ich sehe zumindest, wer zu meinen Lesungen kommt. Im Westen ist es das klassische
Bildungsbürgertum. Aber im Osten, vor allem in Sachsen, da kommen oft Leute, die erst mal
nur vorbeischauen, weil sie gehört haben: “Ah, der hat über uns geschrieben.” Die haben das
Buch im Zweifel gar nicht gelesen. Die sitzen vor mir, mit verschränkten Armen, in der
ersten Reihe. Ihre Körpersprache fragt: “Was will uns der junge Fatzke erzählen über uns?”
Bis sie merken: Ich habe einfach Interesse. Ich belehre nicht.

Triegel:
Wird das honoriert?

Rietzschel:
Ja, ich finde schon.

Triegel:
Man ist ja nie davor gefeit, dass der Beifall von der falschen Seite kommen kann.

ZEIT:
Passiert Ihnen das, Herr Triegel?

Triegel:
Das ist mir schon vor Ewigkeiten passiert, als es noch gar nicht so stark diese Diskussion
um rechts und links gab. Das muss vor 16, 17 Jahren gewesen sein. In Frankfurt am Main hatte
ich eine Ausstellung zusammen mit Mattheuer und Tübke. Wir drei Maler aus dem Osten. Die
Junge Freiheit
feierte die Ausstellung: Michael Triegel als Retter der deutschen
Kunst. Am nächsten Tag waren drei junge Herren mit Springerstiefeln in der Ausstellung und
wollten sich den neuen reichsdeutschen Maler angucken.

Rietzschel:
Die wurden wohl enttäuscht.

Triegel:
Haha, ja, die standen dann da vor meinen Martyrien und Kreuzigungen und waren, glaube ich,
ziemlich konsterniert.

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