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Kopftuchverbot: Krisengebiet auf dem Kopf

Mädchen und Jungen färben sich ihre Haare pink. Sie lassen sich von ihren Freundinnen Dreadlocks machen. Es gibt Dreizehnjährige, die mit einem Irokesenschnitt durch die Straßen laufen oder mit einem rasierten Schädel. Sie gehen in Jugendclubs, die konservativ, alternativ, liberal oder religiös geprägt sein können. Sie tragen Bomberjacken und New-Balance-Schuhe, obwohl diese Kleidungsstücke durch extremistische Gruppen vereinnahmt worden sind. Oder sie hängen sich Ketten mit einem Kreuzanhänger um – weil ihre Popstars das auch tun oder weil sie tatsächlich an irgendetwas glauben. Dieses Irgendetwas folgt den Vorstellungen ihrer Elternhäuser oder ist eine Form der Rebellion gegen dieses Elternhaus auf der Suche nach einer eigenen Haltung. In einem demokratischen Land darf man das. In einem demokratischen Land dürfen das auch Kinder, Mädchen und Jungen, solange sie dabei nicht gegen die Verfassung verstoßen.

Diese Kinder gehen außerdem in die Schule. In den meisten Fällen darf sich in dieser öffentlichen Einrichtung niemand an ihrem Erscheinungsbild stören und in den meisten Fällen interessiert sich auch niemand so genau dafür, für welches Weltbild welche Äußerlichkeit steht und was diesen Kindern zu Hause oder in ihrer Freizeit vorgelebt wird.

Bei Mädchen, die ein Kopftuch tragen, ist das anders. Nun auch in Österreich. Das österreichische Parlament hat mit den Stimmen der konservativen ÖVP und der rechtspopulistischen FPÖ diese Woche ein Verbot von Kopftüchern an Grundschulen beschlossen. Untersagt wird damit “das Tragen weltanschaulich oder religiös geprägter Bekleidung, mit der eine Verhüllung des Hauptes verbunden ist”. Mützen und Basecaps sind davon ausgenommen, die jüdische Kippa oder der Turban der Sikhs ebenso. Jungen, die ihr Haupt bedecken, unterliegen anscheinend keiner religiösen Indoktrinierung. Mädchen unter 14 Jahren aber sollen durch das Verbot vor Stigmatisierung und Sexualisierung geschützt werden, das Kopftuch sei ein Signal des “politischen Islam”.

Und weil Österreich die Nachbarin von Deutschland ist, diskutiert natürlich auch die Bundesrepublik wieder einmal über ein Kopftuchverbot für Kinder an Schulen. Die Integrationsbeauftragte Annette Widmann-Mauz sagte dazu: “Dass kleine Mädchen Kopftuch tragen, ist absurd – das sehen auch die meisten Muslime so.” Klar: Es ist immer besonders glaubwürdig, wenn von “den meisten Muslimen” gesprochen wird, aber “die meisten Muslime” in der Öffentlichkeit nur selten zu Wort kommen.

Das neue Gesetz in Österreich ist aus vielen Gründen problematisch. Der offensichtlichste und wichtigste: Das im Grundgesetz verankerte Recht, seine Religion frei ausüben zu können, würde damit für muslimische Mädchen nicht mehr gelten, denn sie könnten dem Kopftuchgebot des Islam nicht mehr folgen. Eine solche Art der religiösen Einschränkung gilt allein für sie. Ihre muslimischen Brüder, Freunde und Mitschüler und überhaupt alle anderen sind nicht betroffen.

Wenn eine Regierung wie die in Österreich im Jahr 2019 ernsthaft daran glaubt, dass nur bei einem Kopftuch, getragen von einem Mädchen, Stigmatisierung und Indoktrinierung erkennbar werden – dann ist das rassistisch und diskriminierend.

Denn wer mit Weltanschauung und Ideologie argumentiert, wer Angst vor Abgrenzung, Unterdrückung und gefährlicher Radikalisierung schürt – und nichts anderes lässt sich hinter diesen Gesetzeszeilen vermuten –, der müsste die Liste der verbotenen Kleidungsstücke deutlich länger ausfallen lassen. Und sich nicht nur mit weiblichen Kopfbedeckungen aufhalten. Dann sollten eben auch die Bomberjacke von Alpha Industries, das T-Shirt von Fred Perry und die Haarschnitte von Skingirls und Skinboys verboten werden. Und ja, sogar die Kette mit dem Kreuzanhänger; in Berlin beispielsweise regelt das Neutralitätsgesetz, dass Lehrerinnen und Lehrer keine religiöse Kleidung tragen dürfen, darunter fällt auch die christliche Symbolik.

Fragen der Gleichstellung oder der Integrationsfähigkeit eines Menschen lassen sich nicht anhand von symbolbeladenen Kleidungsstücken beantworten. Vor allem, wenn das männliche Geschlecht stets von diesen Fragen befreit wird.

Die muslimischen Grundschülerinnen werden mit dem neuen Gesetz gezwungen, einen Teil ihrer Identität abzulegen. Dabei spielt die Frage, ob diese frei gewählt oder ihnen auferlegt wurde, erst einmal keine Rolle. Genauso wenig wie die Frage, ob dieses Mädchen sich nicht auch mit Kopftuch dieser vermeintlich demokratischen österreichischen Gesellschaft verbunden fühlt. Vielleicht sogar viel mehr als das Mädchen, das in einem FPÖ-Haushalt aufwächst, oder der Junge, der von einem islamistisch radikalisierten Vater großgezogen wird. Die Rechte des Mädchens aus einer rechtspopulistisch interessierten Familie und die des muslimischen Grundschülers bleiben bestehen. Wieso? Weil sie und er kein Kopftuch tragen und weil das Maß an Selbstbestimmung oder Unterdrückung sich an ihren Körpern nicht ablesen lässt.

Man darf natürlich darüber diskutieren, ob ein Mädchen oder eine Frau frei oder unfreiwillig ein Kopftuch trägt und wie gleichberechtigt und selbstbestimmt diese Entscheidung ist. Man kann aber auch darüber diskutieren, wie gleichberechtigt und selbstbestimmt ein Mädchen bei der Kommunion ist oder eine Frau, die katholisch heiratet und verspricht, ihr Leben lang Gott und ihren Mann zu ehren. Der christliche Glaube passt nur besser in das westeuropäische Narrativ von Kultur.

Und man sollte auch darüber diskutieren, wie patriarchale Strukturen Jungen und Männer bis heute schützen und wie selbst demokratische Staaten mit zweierlei Maß messen. In Glaubens- und Geschlechterfragen.

In westlichen Gesellschaften wird der Islam sehr gern – wie ein Abschreckungsabziehbild – dazu benutzt, die eigene Entwicklung in Sachen Gleichberechtigung zur Schau zu stellen. Mit diesem neuen Gesetz in Österreich beweist man jedoch das Gegenteil. Der weibliche Körper ist seit Jahrhunderten eines der beliebtesten politischen Krisengebiete. Aber so jung wie in diesen Tagen ist er im Westen lange nicht zur Kampfzone geworden.

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