/Geringverdiener: In der Niedriglohnfalle

Geringverdiener: In der Niedriglohnfalle

Deutschland
hat einen der größten Niedriglohnsektoren in Europa. Trotz Beschäftigungsboom
und starkem Wirtschaftswachstum verdient jeder vierte abhängig Beschäftigte – rund
acht Millionen Personen – hierzulande weniger als 10,80 Euro brutto pro Stunde. Dort liegt derzeit die sogenannte Niedriglohnschwelle.
Europaweit liegt der Anteil bei einem Sechstel. Betroffen sind in Deutschland
vor allem Frauen, Alleinerziehende, Ostdeutsche und Migranten.

Noch deprimierender ist die Tatsache, dass die
Mobilität für diese Menschen ungewöhnlich niedrig ist und die große Mehrheit
nur geringe Chancen hat, dem Niedriglohnsektor zu entfliehen und sich besserzustellen. Dies sind die zentralen Ergebnisse einer Studie zweier meiner Kollegen am DIW Berlin.

Die
Politik streitet sich seit Langem um die Frage, wie der deutsche Sozialstaat
reformiert und verbessert werden kann. Die neue Bundesregierung nimmt viel Geld
in die Hand, um die gesetzliche Rente für Geringverdienerinnen und
Geringverdiener zu erhöhen und soziale Leistungen – von Wohngeld über
Kindergeld bis hin zu besseren Leistungen für Alleinerziehende – auszuweiten.

Arbeit muss angemessen entlohnt werden

Dabei bekämpft die Politik aber meist nur die Symptome eines Problems, das seine
Wurzeln ganz woanders hat, nämlich im Arbeitsmarkt und in der Tatsache, dass
ungewöhnlich viele Menschen in Deutschland geringe Stundenlöhne erhalten. Denn
wer einen niedrigen Lohn erhält, hat es schwer, seine Miete zu zahlen und ist
auf Wohngeld angewiesen. Niedrige Löhne bedeuten auch niedrige Rentensprüche
und im Alter niedrige Rentenzahlungen. Dazu kommt, dass viele in Deutschland in
Teilzeit arbeiten und unterbrochene Erwerbsbiografien haben.

Wenn sich Arbeit
kaum lohnt, dann kann es uns auch nicht überraschen, dass immer mehr Menschen
auf Leistungen des Sozialstaats angewiesen sind. Gleichzeitig wird der
Sozialstaat für den Einzelnen immer weniger leistungsfähig. Arbeit muss
angemessen entlohnt werden, um Menschen eine bessere Absicherung und
Eigenverantwortung zu ermöglichen und gleichzeitig den Sozialstaat zu entlasten.

Die Fakten
zu Deutschlands Niedriglohnsektor sind ernüchternd: Es gibt neun Millionen Beschäftigungsverhältnisse mit Niedriglöhnen, davon sind rund acht Millionen
Hauptjobs. In anderen Worten: Acht Millionen Menschen müssen ihren
Lebensunterhalt von diesen niedrigen Löhnen bestreiten. Das Argument,
Niedriglöhne beträfen in erster Linie Neben- oder Studentenjobs, trägt also
nicht.

Der Anteil
derer, die im Niedriglohnbereich arbeiten, betrug Mitte der Neunzigerjahre 16
Prozent aller abhängig Beschäftigten, heute liegt er bei 24 Prozent. Dies liegt
keineswegs daran, dass der Median, also der Referenzwert bei den Stundenlöhnen,
gestiegen sei und die Menschen mit niedrigen Löhnen somit abgehängt worden sind. Das Gegenteil ist sogar der Fall: Der reale Stundenlohn des Medians ist
seit Mitte der 1990er-Jahre kaum gewachsen. Die starke Ausdehnung des Niedriglohnbereichs
ist vielmehr die Folge sinkender Reallöhne beim Drittel der Beschäftigten mit
den niedrigsten Stundenlöhnen. Die Reallöhne der 10 Prozent der Beschäftigten
mit den niedrigsten Stundenlöhnen sind seit 1995 um 10 Prozent gefallen. Die
Reallöhne der oberen 50 Prozent dagegen sind deutlich gewachsen.

Dabei
sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die Einführung des Mindestlohns im Jahr
2015 geholfen hat, den Niedriglohnsektor temporär zu schrumpfen. Auch bei vielen,
die ursprünglich über dem Mindestlohn von anfänglich 8,50 Euro verdienten, ist
der Stundenlohn gestiegen. Diese Verbesserung scheint jedoch nur temporär
gewesen zu sein, der Niedriglohnsektor ist im Jahr 2017 ja wieder gewachsen.

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